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AutorenbildChristine Ubeda Cruz

Wer hat an der Uhr gedreht …

Feiernde Menschen im Sonnenaufgang

Es ist schon komisch mit dem Älterwerden: Man möchte einen schönen Abend verleben. Aber trotzdem nicht erst im Morgengrauen nach Hause kommen.


Rückblick in die frühen 1990er Jahre. Ein ganz normaler Samstag. Ausschlafen, Sport, Haushalt oder was sonst so ansteht. Mit dabei: Die Vorfreude auf einen schönen Abend. Mit einem festen Ritual. Ab etwa 18.00 Uhr Modeschau vor dem großen Spiegel. Danach mindestens hundert Versuche, dem Kajal-Strich den entscheidenden, dramatischen Schwung zu geben. Gegen 20.30 Uhr klingelt es an der Tür. Mara stolpert laut kichernd die Treppe zu meiner Dachgeschosswohnung nach oben. Begeisternd bewundern wir einander. Plumpsen aufs Sofa und nippen am bereitstehenden Sekt. Lachen und plaudern. Und ich beschließe, mich nochmals umzuziehen. Mit Maras tatkräftiger Mode-Expertise verwandle ich mich nun endgültig in die Göttin des Abends. Mit dem perfekten Kajal-Strich. All das dauert. Lange. So kurz nach 23.00 Uhr stöckeln wir fröhlich los. In die Nacht. Die wahrscheinlich im frühen Morgengrauen enden wird.


Am nächsten Morgen, der, ehrlich gesagt, eher ein Mittag ist, steht das obligatorische Telefonat mit den Eltern an. Verbunden mit der Meinung meines Vaters, die ich ungefähr so in Erinnerung habe: „Er verstehe nicht, warum »die Jugend von heute« so spät aus dem Haus gehe, weil man, wenn man erst um Mitternacht in der Kneipe ankomme, zwangsläufig bis drei oder vier bleiben müsse. Sonst würde es sich nicht lohnen. Das verstehe sogar er. Er sei früher gegen acht Uhr losgezogen. Aber spätestens um halb eins wieder zu Hause gewesen. Und am nächsten Morgen dementsprechend ausgeschlafen und bereit für neue Taten gewesen.“ Müde antworte ich ihm: „Damals war ja auch um 1.00 Uhr Schluss. Sperrstunde. Die gibt es ja heute quasi nicht mehr. Und ist es nicht so: Wer später kommt, kann länger bleiben?“



Frau wird halt älter. Die Abende werden kostbarer. Und die Tage danach erst recht.

Fast 45 Jahre später denke ich, dass mein Vater vielleicht doch recht hatte. Noch immer liebe ich lauschige Nächte und ausschweifende Feste. Und die Vision, nicht zu wissen, wann und wie sie enden. Aber maximal zweimal im Jahr. Ansonsten bin ich wahnsinnig gerne spätestens so gegen 23.00 Uhr zu Hause. Ich finde es herrlich, ein kleines Essen zu genießen, ein paar Drinks zu nehmen, tolle Gespräche zu führen, vielleicht zu tanzen, ein wenig zu flirten und schlicht einen grandiosen Abend zu verleben.


Aber genauso liebe ich es, vor Mitternacht wieder im vertrauten Heim zu sein. Klamotten aus, Make-up runter, Pyjama an und unter die kuschlige Decke schlüpfen. Frau wird halt älter. Die Abende werden kostbarer. Und die Tage danach erst recht.


Eine Lösung dieses Dilemmas scheint es zu geben. Jenseits der Alpen. Wenn man in Italien* zum Aperitivo eingeladen wird, bedeutet das: Die Sache beginnt so gegen sechs und endet spätestens um halb zehn. Ob an einer Bar oder zu Hause: Es gibt einen Spritz, ein Glas Wein oder Prosecco, vielleicht einen Wermut, dazu ein paar Nüsse, Oliven oder Kartoffelchips. Wenn es ganz besonders edel zugeht, schicke Canapés. Man steht in lockeren Gruppen beieinander, kann ein bisschen plaudern, ein wenig schauen, viel lachen und genießt einen lässigen Abend.


So gegen 21.15 Uhr löst sich die Runde meist auf. Aber frau kann auch einfach länger bleiben, nach Hause oder woanders hingehen. Das machen, wozu sie gerade Lust hat. Das Gute daran: niemand erwartet, dass frau bleibt, bis der Morgen graut.


Können wir das bitte hier bei uns auch einführen? Einfach eine leichte Zeit haben?


Bitte, gerne auch für ausschweifende Abendessen. Denn auch das ist ein, ganz anderes, Thema des Älterwerdens: Üppige Dinner lassen den nächsten Tag, sagen wir mal, "erschwert" starten. Und das liegt wohl nicht nur an der Menge der verspeisten Köstlichkeiten. Sondern hat wohl auch mit der Uhrzeit zu tun, zu der frau genießt.



P.S.: Wenn dieser Beitrag in Deinem Mailpostfach landet, werde ich mich noch Alkohol- und Grillgut-schwanger im Bett wälzen. Ich bin Samstag eingeladen. Der Gastgeber möchte in seinen runden Geburtstag reinfeiern. Das bedeutet: Ich MUSS durchhalten. Mindestens bis deutlich nach Mitternacht. Und das ist nun schon die dritte Party dieser Art im laufenden Jahr. Ich wünsche mir als nächste Feier bitte einen schlichten Aperitivo. Bist Du mit dabei?




*Ich habe mir sagen lassen, dass es diesen schönen Brauch in der Schweiz gäbe.

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