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  • AutorenbildChristine Ubeda Cruz

Eigentlich nix passiert. Und trotzdem eine der aufregendsten Nächte meines Lebens.


Montag, 21. Juni 2021



Ach ist das herrlich! Ein lauer Abend. Ich sitze in meiner kleinen Gartenecke. Die Hauskatze schnurrt unterm Liegestuhl wohlig vor sich hin. Wasserperlen zieren mein Weinglas. Meisen, Rotkehlchen und Amseln zwitschern ihre Abendmelodie. Die Schwalben drehen ihre Pirouetten am Himmel. Genuss pur! Und das in Frankfurt am Main.


Das Laptop auf den Knien träume ich dahin. Mitte Juni - herrlich lange, sonnige Tage. Und erinnere mich zurück. An ein prägendes Erlebnis. Vor vielen Jahren. Noch immer unvergessen.


Kennst Du das auch? Du erinnerst Dich an ein besonderes Ereignis. Und sicher hattest Du schon ganz, ganz viele schöne Erlebnisse. Aber dieses eine, ganz bestimmte, das bleibt für immer in Deiner Erinnerungen präsent. Es ist ganz lebendig. Dieser magische Moment, der alles überstrahlt! Der Dir immer wieder einen wohligen Schauer bereitet. Dich ein verträumt-seliges Lächeln lächeln lässt…


Right in the middle of nowhere

Vor einigen Jahren reiste ich mit einer kleinen Gruppe Touristik-Fachleuten nach Finnisch Lappland. Weite fast unberührte Natur nahe der Grenze zu Russland. Ziel war ein einfaches Camp. Ausgestattet mit rustikalen Blockhäusern. Einsam und verlassen, also wirklich „Right in the middle of nowhere“.


Die erste Überraschung erlebte ich gleich nach der Ankunft in Helsinki. Mein Gepäck wollte offenbar nicht in die Wildnis. Es war einfach in Frankfurt stehen geblieben. Mist - 5 Tage draußen in der Natur nur mit der Kleidung, die ich am Leibe trug? Nicht wirklich gut.

Die zweite Überraschung war, das der Veranstalter und die Fluggesellschaft es sich zur Aufgabe machten, mich nicht als „Müffel-Bärin“ in der unberührten Natur Finnlands auszusetzen. Noch vor dem Weiterflug nach Kittilä wurde ich mit dem Notwendigsten ausgestattet. Sehr hilfsbereit und äußerst nett. Erst später erfuhr ich, dass dies überhaupt die letzte Gelegenheit dazu war.


Im Camp angekommen zeigten sich die nächsten Überraschungen. Unfassbare Weite. Unberührte Natur. Kaiserwetter mit blauem Himmel und kleinen weißen Wölkchen. Unglaublich herzliche Gastgeber. Ein leckerer Imbiss. Liebevoll ausgestattete Blockhäuser. Und aufgeregt neugierige Mitreisende.

Unsere Gastgeber hatten uns im Vorfeld, gebeten, ihren Bekleidungsempfehlungen unbedingt zu entsprechen. Die hießen: Wasserabweisendes Schuhwerk, Strümpfe, lange Hose, Shirt oder Hemd mit langen Ärmeln, gerne mit Kragen/Rollkragen oder Halstuch und eine Kopfbedeckung.


Hilfe - Vampire!!!


Nach dem Imbiss stand der erste Outdoor-Termin an. Und damit die nächste Überraschung! Ordentliche plus 30 Grad Celsius warm und eine Luftfeuchtigkeit von gefühlt mindestens 99%! Puuh, Schwitzen war angesagt.

Und binnen einer Mini-Sekunde war uns allen klar, wofür die Bekleidungs-Tipps gut waren. Oder besser gesagt: Wogegen! Gegen Stechmücken. Die hatten wohl auf uns gelauert. Vielleicht hatten sie einen heißen Tipp bekommen: "Hey, da kommt eine ahnungslose Gruppe Touristen. Frisches Fleisch, frisches Blut. Auf sie mit Geschrei!"


Nun, geschrien haben einige der Damen unserer Gruppe, denen nicht ganz so klar war, auf welche Art von Reise sie sich hier eingelassen hatten. Ihre Kleidung entsprach so gar nicht den gut gemeinten Tipps. Und zudem - wer braucht schon Parfüm und pinken Lippgloss in der Weite Finnlands?


Wohl die Stechmücken. Die mochten das besonders gerne. Und wenn ich hier von fiesen Brummern berichte, dann hat das so gar nichts mit dem zu tun, was wir hier in Deutschland manchmal erleben dürfen. Selbst die Schwärme an einigen ruhigen Seen oder Flussarmen bei uns, ist nicht vergleichbar mit der Anzahl der Blutsauger in Finnisch Lappland. Und dann sind die Biester auch noch richtig groß. Ich sagte ja: Überraschungen ohne Ende!


Love it. Leave it. Change it.


Mir war sofort klar: Aus dieser Situation gibt es nur zwei Wege heraus. Entweder ich ziehe mich für die nächsten Tage in mein Blockhaus (mit festen Fliegengittern) zurück und gehe nie, wirklich nie wieder vor die Tür. Oder ich finde mich damit ab, dass diese Viecher allgegenwärtig sind. Die sind halt hier zu Hause. Und ich mache das Beste daraus und genieße die Zeit. Ob ich die Mücken allerdings jemals lieben werde? Na ja…


Mittsommer ist einer er wichtigsten Feiertage in Finnland.


Und das unglaublichste Fest, das ich je erlebt habe. Die als so kühl beschriebenen Finnen können feiern. Und wie! Herrlich herzlich und unkompliziert.


Das warme Sommerwetter lädt am „Juhannus“ ein, Zeit draußen im Freien zu verbringen. Ein großes Feuer ist ein Muss. Alle packen mit an. Schnell sind ein paar Stämme und Äste aufgeschichtet und entzündet. Knisternde Flammen suchen ihren Weg in den Himmel.


Auf dicken Stämmen saßen wir rund ums Feuer, lachten, redeten, tranken und träumten. Einer griff zur Gitarre und stimmte ein herzerweichendes Lied an. Schön melodisch und rhythmisch. Ich verstand nichts.

Ulkig, die finnische Sprache. Ungewohnt. Fremd in meinen Ohren. Ich konnte beim besten Willen kein Wort erkennen. Den meisten der finnischen Buchstabenfolgen fehlt es an Konsonanten. Dafür sind sie reich an Vokalen. Ein Beispiel gefällig: „juotaan ja juhlitaan!“ - lasst uns trinken und feiern!

Und genau das taten wir. Die Melodien des Musikers war eingängig und luden zum Mitklatschen ein.

Unser Gastgeber stellte große Eichenbretter in etwas Abstand zum Feuer auf. Einfach schräg an dicke Steine angelehnt. Darauf war fantastisch aussehender Lachs aufgespießt, garniert mit frisch gepflückten Wildkräutern aus der Umgebung. Ganz langsam wurde der Fisch sanft geräuchert. Ich fieberte diesem besonderen Genuss entgegen…

Gut war das Feuer auch, um die fliegenden Plagegeister zu vertreiben. Für die zeigte keiner der Einheimischen wirklich Interesse. Nur wir Zugereisten… und eine ältere Dame, die uns auf Finnisch und mit Händen und Füßen die Vorteile einer stark und nicht wirklich gut riechenden Paste vermitteln wollte. Die Anderen winkten nur lachend ab. Love it, leave it or change your mind…



Glücksgefühle, Hochgefühle, Wohlbefinden


Ein Muss an Mittsommer ist für die Finnen das Saunabaden. Hier im Camp gab es, romantisch versteckt unter hohen Bäumen, bedeckt mit Moos und Flechten, zwei knuffige Zeltsaunen. Eine für die Herren, eine für die Damen. Soviel Ordnung musste sein. Die Planen waren rundherum gut im Erdboden vergraben, mit Ästen und Reisig beschwert. Somit konnte die feuchte Hitze auf gar keinen Fall entweichen.


Kichernd tapsten wir über Moss und Flechten und nahmen Platz auf rauen Holzstämmen. Unsere Gastgeberin kam mit großen Bündeln frisch geschnittener Birkenzweige in die Sauna. Und bot uns nach und nach eine Abreibung an. Ja, wirklich - mit den frischen Zweigen wurde kräftig-sanft und liebevoll auf Schultern und Rücken geschlagen. Klar gab das rote Spuren. Soll aber sehr gesund sein und der austretende Pflanzensaft tut sein Übriges dazu. Irgendwann war’s aber gut - nix wie rein in die klaren Fluten des schnell vorbei ziehenden Flusses. Ah, tat das gut! Das frische, kühle Wasser auf der erhitzten Haut, der blaue Himmel über mir, zwitschernde Vögel und weit und breit kein störendes Geräusch. Einfach paradiesisch!


Herrlich erfrischt, abgetrocknet und wieder komplett angezogen, ich sag nur „Blutsauger“, saß ich wenig später am knisternden Feuer. Und war gespannt auf den geräucherten Lachs. Zarte Duftfäden schwebten an meiner Nase vorbei. Nun durften wir genießen. Einfach mit dem Messer vom Brett, dazu leckere neue Kartoffeln, frischen Salat mit allerlei Blüten, Kräutern und Beeren. Alles liebevoll gereicht in urigen Holzschalen. Herrlich und so lecker!

Ich kann mich heute noch, nach vielen, vielen Jahren, an den einmaligen Geschmack des Lachses erinnern. Das feine Raucharoma, die Frische und Süße der Kräuter und der unglaublich intensive Geschmack des Fisches - unbeschreiblich! Und so nie mehr genossen. Dazu gab es reichlich Limo, Wein oder Bier. Die Stimmung wurde immer ausgelassener. Und weiter ging’s - singend, lachend und tanzend.


Natur-Phänomen


Irgendwann schaute ich auf meine Armbanduhr und dachte: Ups - die ist kaputt! Diese Zeit konnte nicht stimmen! Es war taghell, über 30 Grad Celsius warm, die Sonne schien strahlend vom Himmel, die Vögel zwitscherten. Meine Uhr zeigte 23.30 Uhr an. Eigentlich hätte ich total erschöpft und müde sein müssen. Nach der langen Anreise und den vielen Erlebnissen. Aber ganz im Gegenteil. Ich fühlte mich total euphorisch, hellwach und top fit.


Was war das?

Die Uhrzeit stimmte.

Die Nacht ohne Nacht! Die Nacht ohne Dunkelheit!

Der Tag, der nie endet.

Eine der sogenannten „weißen Nächte“!

Magisch!


Ein Phänomen! Ein unglaubliches Ereignis. Die Mitternachtssonne. Sie scheint durch die Nacht und verschwindet einfach nicht. Trunken voll Glück schaute ich unentwegt in den Himmel. Und war ganz verliebt in dieses Schauspiel, das eigentlich gar nichts zeigte. Selig im Jetzt.

Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass die Vögel ihre Abendmelodie anstimmten. Ich glaubte, am Himmel einen diffusen Streifen wahrzunehmen. Ganz kurz war die Sonne getrübt. Eine so noch nie gesehene milchig gelbe Luftschicht zog auf. Aber nach wenigen Minuten hatte sie sich wieder aufgelöst. Und die Sonne strahlte weiter, als hätte sie die ganze Zeit über in ihrem Zenit gestanden. Auch die Vögel zwitscherten wieder ihr Morgenlied. Und das um mittlerweile 01.00 Uhr.

Unser Gastgeber hatte mich wohl schon eine Weile über still beobachtet. Jetzt setzte er sich zu mir und sagte: „Du hast die Magie diesen besonderen Augenblick mit allen Sinnen gespürt. Das kann ich Dir ansehen. Onnittelut - Herzlichen Glückwunsch“. Und ich lächelte ihn selig an. Ja - ich fühlte mich ganz verzaubert, fast high. Verliebt in den Moment, in die Natur und ihre Wunder, ins Hier und Jetzt! Ich fühlte mich unglaublich beschenkt, selig, ruhig und zufrieden.


Diese Nacht, die nie endet, war so ganz anders als alle anderen. Das Gefühl in mir ist,

nach wie vor, mit nichts zu vergleichen. Und auch jetzt und heute, hier in meiner Gartenecke, kann ich es genau so nachempfinden. Großes Gefühls- und Kopfkino!

Wir saßen weiter am Juhannus-Feuer. Zwischenzeitlich waren die meisten Partygäste auf Schnäpse oder Wodka umgestiegen. Die Stimmung wurde immer fröhlicher und gelöster. Heiter und gemütlich. Frei und unbeschwert.


Irgendwann, am frühen Morgen, fand ich den Weg in mein Blockhaus. Ich hab‘ nur schnell geduscht, kurz mein bequemes, aber unbenutztes Bett begrüßt und bin zum Frühstück. Jetzt half ein guter starker Kaffee und leckeres Frühstück. Und dieses unbeschreibliche Gefühl in mir, etwas Magisches erlebt zu haben. Etwas, dass ich nie vergessen werde...


Kennst Du das auch? Dieser eine magische Moment, den Du nie vergisst?

Dieses Erlebnis, diese Wahrnehmung, die Du nicht wiederholen kannst?

Und die Dankbarkeit an Deine Erinnerung, Dein Kopfkino. Die Fähigkeit, dich immer wieder in Gefühlen und Gedanken an diesen besonderen Moment zu erinnern? Einfach magisch!


P.S.: am kommenden Wochenende ist es in Finnland wieder soweit. Am Samstag, 26.6. werden die Juhannus-Feuer entzündet und herrlich unkompliziert gefeiert.















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