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Gesprochenes Rauschen, geschriebene Klarheit.

  • Autorenbild: Christine Ubeda Cruz
    Christine Ubeda Cruz
  • vor 12 Minuten
  • 4 Min. Lesezeit
oder: Wart amol gschwind
oder: Wart amol gschwind

Nein, früher war nicht alles besser. Nicht die Politik, nicht das Wetter und schon gar nicht das Geplapper um uns herum. Aber immerhin konnte der Mensch mit einem Stift umgehen und das nicht nur, um die Lottozahlen anzukreuzen. Und heute? Soll es doch tatsächlich Menschen geben, die kaum noch eine Nachricht schreiben oder tippen können/wollen? Denn es gibt kluge Techniken, die das übernehmen. Eigentlich ’ne feine Sache. Nur: Das Verhältnis verschiebt sich: mehr Gesprochenes, weniger Geschriebenes. Das kann ganz schön nerven und macht uns dummerweise auch nicht klüger.


Podcasts, Sprachnachrichten, Siri oder ChatGPT – ich hab das Gefühl, wir reden uns den Mund fusselig, so wie meine Oma früher beim Schimpfen, und gleichzeitig verlernen wir Lesen und Schreiben wie Schüler kurz vor Schulbeginn. Ist das „nur“ ein harmloser Trend oder gar eine schleichende Gefahr?


Versteht mich nicht falsch: Auch ich höre Podcasts. Gerne Kluges, Wissenschaftliches, Kulturelles von namhaften Sendern, Zeitungen und Zeitschriften. Oder gut gemachte Comedy. Aber diese ewigen „Labercasts“, bei denen zwei sogenannte Spezialisten mit gefährlichem Halbwissen versuchen, die Welt zu erklären, sind mir ein Graus. Wenn das die Basis für das intellektuelle Grundrauschen unserer Gesellschaft ist, oje! Früher, oh Gott wie das klingt, hat man eine Zeitung gelesen und ergänzend noch ’ne andere oder eine Zeitschrift. Gerne auch zusätzlich noch Nachrichten geschaut, um sich ein umfassendes Bild zu machen. Heute: Knöpfe ins Ohr, und schon läuft das Dauergeplapper ins Hirn – bis der Akku leer ist. Erst der vom Handy, dann der im Kopf.


„Pling“, tönt mein Handy. Oh schau, eine Sprachnachricht. Und wie lang? Sieben Minuten. Hilfe! Oh nee, denke ich. Wohin kann ich diese Nachricht bitte, ohne sie vorher anzuhören, zurückfaxen? "Früher" erhielt ich geschriebene Textnachrichten, kurz und prägnant und dank automatischer Rechtschreibprüfung, meist verständlich lesbar. Heute stolpern meine Ohren über so viele „äh“, „ähm“ „ja genau“, dass die eigentliche Botschaft irgendwo zwischen Minute fünf und sechs verloren geht.


Der britische Schriftsteller Edward Forster soll einmal gesagt haben:


„Wie soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?“

Ist schon klar, oder? Jetzt wirst du berechtigterweise sagen: „Natürlich weiß ich, was ich denke bevor ich es sage.“ Gut, denn gegebenenfalls kannst du das Gesagte ergänzen, neu formulieren. Nur, das funktioniert in einem Gespräch. Aber bei einer Voice Message? Wer hört sich das soeben aufgesprochene nochmals an? Korrigiert es gar? Und – geht das überhaupt?


Forsters Zitat lässt sich auch gut auf das Schreiben eines Textes, sei er noch so kurz, übertragen. Denn hier ist die eigentliche Arbeit nicht das Schreiben, sondern das Konstruieren der Gedanken. Durch das Niederschreiben werden vage Aussagen, die vielleicht erst einmal ein Gefühl, eine Ahnung sind, in die Form einer Idee, einer Annahme, Aufforderung …, gebracht. Schreiben zwingt mehr?! zum Denken. Sprechen ist manchmal zu schnell, nicht zu Ende gedacht. Und ja, ich weiß, es soll Menschen geben, die „wie gedruckt sprechen können“.


Der Versender von 7-minütigen Voice Messages auf meinem Telefon gehört da nicht dazu …



Siri, Alexa oder ChatGPT wissen alles – oder?


1991, also viel früher, unterhielt sich Axel Hacke nachts, wenn er einsam war, mit seinem Kühlschrank. Er schätzte diese Gespräche. Der gute alte Kerl, er hieß übrigens Bosch, hatte immer was zu trinken da, und sein Verstand analysiert die Dinge auch zu nächtlicher Stunde eiskalt. Hackes Gespräche mit Bosch sind erfrischend hintergründig und charmant. Entstammen diese natürlich ausschließlich Axel Hackes Fantasie. Ich fürchte, Bosch hat außer einem ruckeligen Schütteln, dem Geräusch, das alten Kühlschränken zu eigen war, nie ein Wort gesagt.


Auch jetzt sprechen Menschen zu Maschinen. Die heißen Siri, Alexa oder ChatGPT. Nur: Sie fragen nicht nach. Sie fragen an. „Alexa, wie wird das Wetter?“ „ChatGPT, was ist Demokratie“ und zack gibt’s eine Antwort. Kein Nachlesen, keine Gegenprüfung, kein Nachdenken. Einfach eine akustische Instant-Lösung – wie Instant-Nudeln, schnell, aber mit geringem Nährwert.


Gerade beklagen ChatGPT-Nutzer, dass die neueste Version zwar schneller und effizienter sei, dafür aber nicht mehr "zuhöre". Mich irritiert die Wahrnehmung, dass OpenAI nicht nur als "technischer und wissender" Assistent gesehen wird, sondern der Maschine auch "Wärme, Nähe und Persönlichkeit" zugeschrieben wird.


Versteht mich bitte nicht falsch: Ich liebe neue Technologien und bin freudig, neugierig begeistert, wenn Tools entstehen, die uns vieles im Leben erleichtern. Und genau da liegt meine Begeisterung, aber auch meine Befürchtung. "Leichter machen" finde ich großartig. Aber lasst uns dabei nicht vergessen, wie man einen Satz zu Ende schreibt. Schreiben ist wie Zähneputzen: Es schützt vor Karies im Kopf. Und Lesen ist wie Gemüse essen: gesund, manchmal etwas mühsam, aber auf Dauer unverzichtbar. Hält geistig fit. Und ja – Schrift ist langsam. Das ist ihre Stärke. Sie zwingt zur Präzision. Wer einen Gedanken aufschreibt, muss ihn sortieren. Und wer das Geschriebene liest, nimmt diesen Gedanken auf, lässt ihn sacken, denkt im besten Falle darüber nach.


Wenn wir stattdessen nur noch reden, hören und „nach Gefühl“ verstehen, könnten wir diese Präzision verlernen. Wir würden anfälliger für laute Schlagworte, emotionale Parolen und diesen, vielleicht gefährlichen, Satz: „Das hat sich doch ganz schlüssig angehört.“


Und mal ehrlich: Wer schwört heute noch auf mündliche Überlieferung?

Genau: Märchentanten und Populisten.

Wollen wir das?

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