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  • AutorenbildChristine Ubeda Cruz

Ist Schlange stehen das neue Meditieren?


Zusammengerollte Phyton in pinker Farbe
Königsphyton - fast nie pink und garantiert nie giftig. Dafür aber kräftig.

Einige Menschen stehen gerade gerne Schlange. Tiefenentspannt. Offenbar einfach so. Bei Anderen ruft das vielleicht traumatische Erinnerungen an Hyperinflation oder DDR-Mangel wach. Aber die, die da in der Schlange stehen denken eher daran, wie lange es wohl noch dauert, bis sie ihren heißbegehrten Luxusartikel ihr eigen nennen dürfen.

Und ich? Schüttle den Kopf und kann es nicht verstehen. Endlich sind Kontaktbeschränkungen und Distanz Geschichte. Alle einschränkenden Regeln abgeschafft. Die meisten Läden haben ihre Abstand-Linien auf dem Boden und die Hinweistafeln entfernt. Nur die Ständer mit der Handdesinfektion stehen mancherorts eingestaubt noch in der Ecke rum.


Und trotzdem warten, wie in Pandemiezeiten oder früher im Sozialismus, die Menschen vor einzelnen Geschäften in langen Schlangen.


Und nein, in diesen Shops hält sich nicht die Mona Lisa versteckt. Oder eine pinkfarbene Phyton.


Anstehen - Das Hobby der Briten und der Reichen?


Seltsame Szenen spielen sich in Frankfurts feinster Einkaufsstraße ab. Bei gutem wie schlechtem Wetter stehen jeden Tag Menschen geduldig an, um sich mit Nobeltaschen, edlem Schmuck und Haute Couture Klamotten einzudecken.


Das kriechende Reptil scheint beliebt zu sein. Zumindest als Muster auf Kleidung, als Logo auf Portemonnaies, Handtaschen und Schuhschnallen.


Schlange stehen mögen dagegen die wenigsten. Während der Pandemie hatten wir unfreiwillig geübt. Und zwar alle. Egal ob „Normalos, Reiche und Berühmte“. Nun sind alle Geschäfte wieder geöffnet. Doch einige Schlangen sind geblieben. Also die Warteschlangen. Vor bestimmten Geschäften im Luxus-Segment. Und das passt so gar nicht zu den Vorurteilen, dass Reiche eigentlich nicht warten müssen.


Schwelt da doch noch die Angst und Vorsicht der zurückliegenden zweieinhalb Jahre? Oder stellen die Leute sich an, weil alle anderen es tun? Getreu der Erfahrung aus längst vergangenen Zeiten: Man stellt sich am besten dort an, wo alle anstehen. Da muss es ja was (Besonderes?!) geben.


Egal ob bei der Post, vorm Hightech-Store oder jetzt halt vor den ultimativen Luxus-Läden in der piekfeinen Flaniermeile.


Mit der Ausrüstung der Schlange-Stehenden kann man den härtesten Winter überleben. Oder ein neues Statussymbol kaufen. Wenn man das haben möchte, braucht es nicht nur Geduld und reichlich Knete, sondern am besten auch feste Schuhe, warme Kleidung und genügend Proviant. Idealerweise in Form einer Powerbank - nee, nicht zum Sitzen sondern als Energiespender fürs Smartphone. Denn das ist ständig im Einsatz. Der Mensch muss ja die anderen Menschen in seiner Bubble über den Fortgang der Warteschlange vor der Luxus-Boutique auf dem Laufenden halten. In Kuss- und Schmollpose, vor dem Firmenlogo, neben dem silberfarbenen Ständer, der mit seinen Abgrenzungs-Schnüren für Ordnung in der Schlange sorgt oder dann, endlich, im Allerheiligsten - dem glitzernden Konsum-Tempel. Den man nun endlich, dank der salbungsvollen Einladung des Muskelgestählten Security-Mannes, betreten darf. Um ein kleines, ach was, ein richtiges Vermögen los zu werden.



Schlange stehen versus Click


Wenn das Speisenangebot im Betriebsrestaurant stimmt, dann stauen sich die Hungrigen vor der Ausgabe. In einer Schlange. Das ist normal. Und da stelle ich mich gerne an. Und warte geduldig, bis ich dran bin. Denn mit mir haben gefühlt Hunderte andere Hunger. Ist halt Mittag. High Noon! Da brauchen die menschlichen Zellen nahrhaften Nachschub. Und um den zu bekommen, stelle ich mich bereitwillig an. Dauert wenige Minuten. Dann habe ich ein köstliches Mittagessen auf meinem Teller.


Auch in die Schlange vor unserer „Weltbesten“ Eisdiele - endlich hat sie wieder geöffnet - reihe ich mich gerne ein. Das gehört zum „Eisschlecken-Summer-Feeling“ dazu.

Aber: Wenn ich wirklich eine s**-teure Tasche kaufen möchte, oder ein wertvolles güldenes Geschmeide, dann will ich es jetzt! Und zwar mit allem Drum und Dran. Und auf gar keinen Fall mit einer Warteschlange. Ich „will“ den „roten Teppich“ - nur für mich - vor der Tür, eine freundlichen Begrüßung, eine zugewandte Verkaufsberatung, vielleicht einem Espresso, echte Empfehlungen und Tipps, liebevoll verpackte und ehrlich bezahlte Ware inklusive einer herzlichen Verabschiedung.


Oder gehört das Schlange-Stehen nun fest zur neuen Costumer Journey, von der die Marketing-Experten immer sprechen?


Also ich bin da raus. Aus der Journey und der Schlange. Vielleicht kaufe ich dann doch ganz bequem per „Click“ inklusive „rotem Teppich“ und Espresso vom heimischen Sofa aus.



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