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  • AutorenbildChristine Ubeda Cruz

Wie geht es Dir?

Aktualisiert: 30. Okt. 2022

Weltkugel im Mülleimer
Die Welt im Mülleimer

Sorry, dass ich so direkt frage. Du ahnst sicher, dass ich damit nicht das „Ei gude wie?“ meine. Und Dein Reflex „Superdankeunddir“ mir als Antwort nicht genügt. Deine wirkliche Antwort interessiert mich. Ehrlich.


Ich halte es gerade jetzt für wichtig, sich auszutauschen. Wo die Welt täglich anders ist. Und wir uns von vielen gewohnten und gefühlten Sicherheiten verabschieden dürfen - nee, quatsch - MÜSSEN! Ich glaube, dass uns ein ähnliche Verunsicherung eint.



Düstere Melodramatik im Herbst


Nun ist er da: Der Herbst! Mit Deckeln und Bremsen für Gas, mit mondsüchtigen Energiepreisen, hohen Kosten für eigentlich Alles, sabotierten Röhren in der Ostsee, durchgeschnittenen Kabeln bei der Bahn und galoppierenden Inzidenzen. Karl Lauterbach wirkt müde, wird aber nicht müde weiter auf die Maskenpflicht zu drängen und aufzurufen, sich doch bitte, bitte unbedingt zum x-ten Mal impfen zu lassen.


Dauerschleife, täglich grüßt das Murmeltier, düstern, Angst einflößend und dabei so gar nicht erheiternd. Was mir da immer hilft: Lesen! Abtauschen in eine andere Welt. Also ran ans Bücherregal, Augen zu, einfach reingreifen. Und was halte ich in den Händen? „Das Labyrinth der Einsamkeit“ von Octavio Paz. OK! Das ist ein Zeichen. Düsterer kann es eigentlich gar nicht mehr werden.


Allergrößten Melodramatik. Ob die Mexikaner heute noch so spüren und fühlen? Das Essay galt viele Jahrzehnte als das wichtigste Werk zum Verständnis Mexikos, "dieses kastilischen Volkes mit aztekischen Streifen". Für Paz sind die Mexikaner sowohl Spanier wie auch Indigene, wenn sie auch weder von den einen noch von den anderen abstammen wollen. Ich weiß nicht, ob sie sich heute noch im Labyrinth und in der Einsamkeit wähnen. Ich hatte, vor vielen Jahren, einen anderen Eindruck. Bei meiner Reise durch das Land erlebte ich Menschen, die sehr wenig Besitz hatten, viel arbeiten mussten aber trotzdem viel Freude und Leichtigkeit im Leben versprühten. Trotz der Ernsthaftigkeit des Buches fluteten mich gleich wunderschöne Erinnerungen an diese Reise mit besonderen Begegnungen.


Vor einigen Tagen sprach ich mit einem Bekannten, der aus Chile stammt. Er sagte, wie schon so oft, das in Lateinamerika alles und jeder politisch sei. Überall und immer. Man könne gar nicht anders. Er schimpfte über das zurückliegende Verfassungs-Referendum in seinem Land, über die Macht der Konservativen, die eine moderne Verfassung verhinderten und deren Angst vor Veränderung. Er wurde immer lauter. Kam so richtig in Rage. Doch auf einmal sagte er: ABER, WIR HABEN trotzdem SPASS!


La pura vida!


Das hat mich irritiert. Und erstaunt. Ein paar Menschen in unserem Land haben auch Spass. Millionen können nicht irren. Zum Beispiel die, die wohlgelaunt das Oktoberfest besuchten. Und für mehrere Stunden ihren Weltenkummer vergaßen. Teil eines kollektiven Verdrängens wurden. Die viele Hektoliter Bier in sich reinkippten, anzügliche Lieder trällerten und sich beim Haxen-Essen so gar keine Gedanken um den CO2 Ausstoß der dafür geschlachteten Schweine kümmerten. Kollektive Verdrängung für ein paar Stunden. Einfach mal abtauchen und feiern.


Auch dachten sie wohl keine Minute an die mutigen Menschen im Iran. Die sich gerade so viel trauen. Aufstehen und nach Veränderung schreien. Und dabei ihr Leben oder ihre persönliche Freiheit riskieren.


Oder an die Reichen und Schönen, die geduldig in der Schlange stehen um eine Designerhandtasche für mehrere tausend Euro zu erstehen. Denen scheinen die steigenden Energiepreise keine Angst zu machen. Übrigens jeden Tag zu bestaunen in der Frankfurter Goethe-Straße vor diversen Markengeschäften.


Es nützt ja nichts. Bei allem, was schiefläuft, bei allem Drama, bei allem, was bedrohlich scheint: Gegen krassen Weltschmerz hilft manchmal nur eine störrische Liebe. Zur Welt. Zu dem was ist. Und zum Leben.


Und allem Weh zu Trotze bleib ich verliebt in die verrückte Welt

Hermann Hesse


Dabei hat Jede und Jeder so sein eigenes Rezept, seine eigene Flucht, um den Kummer der Welt auszusperren. Für eine gewisse Zeit zu vergessen. Einigen hilft es, zu feiern. Anderen einzukaufen. Oder ins Bett zu kriechen, die Decke über den Kopf zu ziehen und einfach mal liegen zu bleiben. Möglicherweise sieht die Welt dann anders aus.


Denn die dreht sich da draußen einfach immer weiter. Und irgendwo wird gerade wieder gelitten und gestorben. Gefeiert und geboren. Und das alles gleichzeitig.


Und ja, das ist schizophren. Diese Gleichzeitigkeit. Mit der alles kommt und geht. Unaufhaltsam. Mit der die Welt für die einen in Ordnung ist. Und für die anderen gerade überhaupt nicht.


Ich habe mich entschieden, auch weiterhin die Welt zu lieben. Aus Trotz! Damit kämpfe ich für das Gute. Im Kleinen und im Großen. Was nicht bedeutet, die Gräuel zu verharmlosen.


Und NEIN - ich blase keinen Trübsinn. Vergrabe mich nicht zu Hause. Und wenn Du mich jetzt fragst: „Wie geht’s Dir?“ Dann antwortet ich trotzig: „Super, danke. Und Dir?“




P.S.: Wie machst Du das? Was sind Deine Weltfluchten? Wie geht‘s Dir damit? Interessiert mich. Wirklich!







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