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  • AutorenbildChristine Ubeda Cruz

Morgenstund' hat nicht nur Gold im Mund

Waldbrombeeren in der Hand
Morgendliche "Beeren-Jagd"

Oma und Opa Wolf behaupteten immer "Morgenstund hat Gold im Mund". Vorzugsweise im Sommer, wenn die Beiden, kurz vor Sonnenaufgang, schwere Gießkannen voll mit kühlem Nass in ihrem Obst- und Gemüsegarten sorgsam verteilten. Damals war ich noch Langschläferin und hatte nicht den Hauch einer Ahnung, welch großartige Bedeutung dieser Spruch hat.


Heute ist das anders. Es könnte am Alter liegen (??!*) oder schlicht in der Begeisterung, gefühlt die "Erste" an diesem Tag zu sein, die den schattig-kühlen Stadtwald betritt. Am schönsten ist es kurz vor Sonnenaufgang. Mitte August ist das hier in Frankfurt um kurz nach sechs Uhr. Sofort umfängt mich diese ganz besondere magische Aura des erwachenden Tages. Nur ganz kurz währt dieser Augenblick. Und ist wieder verschwunden, sobald die Sonne hoch am Horizont steht.


Ich liebe meine Wald-Runde zum Tagesanbruch, ist sie doch so spannend wie eine kleine Reise. Und – egal wie sommerlich warm der Tag zu werden verspricht, um diese Zeit ist es meist noch angenehm kühl. Fast wäre es gut, eine Jacke zu haben. Aber nur fast … Meine Füße streichen behutsam durch das hohe Gras der Wiese, in dem Tautropfen wie aufgereihte Perlen hängen. Die zarten blauen Blüten des Wiesen-Storchschnabels wiegen sachte nah am Boden, auf den hohen weißen Dolden des Bärenklau landen die ersten Bienen auf ihrer Suche nach Nektar, und da vorne, da recken sich ein paar Blüten der lila Flockenblume Richtung Sonne. Große Brombeere-Ranken reichen mir ein erstes kleines Frühstück. So früh morgens schmecken die kernigen Früchtchen fein säuerlich. Hoch oben am Himmel kreist ein Bussard und überblickt sein Revier auf der großen Wiese. In der Ferne, nur schemenhaft im leicht Dunst zu sehen, staksen zwei Reiher durchs feuchte Gras.


Weiter tragen mich meine Füße Richtung Wald. Welch wohltuende Stille, zart durchwoben vom Gesang der Vögel. Meisen, Kleiber, Amseln und Rotkehlchen. Dazwischen der warme Klopfton eines Spechts, auf "Holz klopfend" auf der Suche nach Käfern. Das satte Grüne des Blätterdachs hält noch die angenehme Kühle der Nacht. Und da hinten, am Rohsee, ziehen hauchfeine Nebelschleier über den Boden und zeichnen die Landschaft weich.


Je näher ich dem Bodennebel komme, desto zaghafter bewege ich mich. Fast befürchte ich, die erwachende Natur zu übertönen. Der Himmel ist jetzt, urplötzlich, Knallorange. Gleich wird der erste Sonnenstrahl die Landschaft von der Seite her beleuchten. Und dann bietet sich mir ein grandioses Naturschauspiel. Das kupferrote Licht wirft schräge Streifen auf das Wasser des Sees. Mit dem ersten Auftreffen der Strahlen ist der hauchfeine Nebelschleier verpufft.


Friede liegt über der mystischen Landschaft, die aus einem ehemaligen Altarm der Mains entstanden ist. In diesem Jahr, dank eines hohen Grundwasserspiegels, führt der See etwas Wasser. Noch im zarten Dunkel ragen dicke, knorrige Wurzelstöcke von Schwarzerlen wie uralte Wesen aus dem grünbraunen, morastigen Wasser empor. Ein Entenpärchen zieht gemächlich seine Runden. Immer mehr Sonnenstrahlen kitzeln sich durch die Blätterkrone und zeichnen Schattenbilder auf die Wasseroberfläche.

Verschiedene Ansichten eines kleinen Sees
Impressionen vom Rohsee*

Vorsichtig folge ich dem kleinen Pfad. Im Moor schmatzt und gurgelt es. Für mich nicht sichtbare Lebewesen bewohnen das hohe Schilf, dass urplötzlich in ein zart-rosa Blütenmeer übergeht. Springkraut – so weit das Auge reicht. Erst mystisch – dann unendlich romantisch.


Die Sonne steht nun hinter einer sehr alten Eiche. Wie viele Jahre mag die hier schon sein? Gerade wirkt sie nahezu göttlich – Sonnenstrahlen umrahmen ihre knorrigen Äste wie eine gigantische Monstranz. Im schrägen Gegenlicht sehe ich mit Tautropfen bedeckte Spinnennetze, die golden glitzern.


Weiter geht es über eine große Schneise. Langsam trocknen die Tautropfen ab, werden die Spinnweben unsichtbar und kriechen die Schnecken zurück unter kühle Steine. Die Sonne steht jetzt hoch. Ihre Strahlen entwickeln immer mehr Kraft. Zeit für mich, nach Hause zurückzukehren und zu frühstücken. Vorher nasche ich noch ein paar sonnengewärmte süße Brombeeren. Denn bei mir hat die "Morgenstund nicht nur Gold im Mund".



P.S.: Ich liebe "meinen" Stadtwald und bin immer wieder erstaunt, welche Überraschungen er allmorgendlich für mich bereit hält. Und die erspüre ich mit allen Sinnen. Bin im hier und jetzt. Und ganz bei mir. Mittlerweile bleibt das Handy in der Tasche. Nehme ich nur für den Notfall mit. Meine kleine tägliche Dosis Digital Detox.



*Fotos aus 2023


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Guest
Aug 25

Liebe Christine,


eine wunderschöne Beschreibung deines frühen Morgens. Herrlich, welche Vielfalt an Worten du gefunden hast, mir, deiner Leserin, diesen Morgen schmackhaft zu machen.


Danke und Grüße an den Main.

Edith

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