Die 37 Fragen des berühmten Proust-Fragebogens haben es in sich. Mit den Antworten auf Fragen wie "Was ist für Sie das größte Unglück", "Wie möchten Sie sterben" oder "Was ist Ihr Motto?" beschäftigte sich der Schriftsteller selbst mehrfach. Die heiteren und heiklen Fragen sollten Esprit, Charme und Inspiration fördern. Proust glaubte, dass man durch die Beantwortung sein wahres Wesen offenbare und sich selbst besser kennenlerne. Der Fragebogen wurde so populär, das daraus Anfang des 20. Jhdts. ein beliebtes Gesellschaftsspiel wurde.
Nun, wir, die #Schreibfreundinnen, spielen auch mal ganz gerne. Vor allem mit Worten. Und sind dann auf der Spur von Esprit, Charme und Inspiration. Was liegt also näher, als sich selbst einmal mit diesem Fragebogen des Literaten zu beschäftigen? Und dafür einen auf die heutige Zeit und auf die Befragte angepassten kürzeren Fragebogen zu erstellen? Ich hab's getan und I proudly present:
Jetzt wirst du die Stirn runzeln und fragen: Alexandra-wer? Darf ich sie dir ein wenig vorstellen?
Alexandra ist Wort-Domtöse, Geschichten-Zauberin, #Schreibfreundin und die weltweit bekannteste Vermittlerin der Heldinnenreise. Sie schreibt, schreibt und schreibt. Und ist ganz frisch gekührte Preisträgerin des Thalia Storyteller Awards 2024 mit ihrem Werk: "Näher ans Wasser kommst du nicht."
Also genau der richtige Zeitpunkt, um ihr die folgenden Fragen zu stellen:
1. Was würde dich so aus der Bahn werfen, dass sogar deine "drei Omas*" nicht mehr helfen könnten?
Wahrscheinlich wenn ich erkennen würde, dass sie nur Einbildung sind 🤣
– nein, es war genau umgekehrt: Die drei Omas sind in mein Leben getreten, als ich jenseits von allen mir damals bekannten Bahnen war. Beim ersten Mal in Form von drei unglaublich an mir interessierten Kühen, durch die ich zum ersten Mal in meinem Leben verstanden habe, dass ich genug bin. Und dann immer öfter in Form von Erinnerungen an meine eigenen drei Uromas oder typisch fränkische Verhaltensweisen. Damals bin ich aus der Spur gefallen, weil irgendwie nichts mehr beim Alten war – jetzt würde ich rausfallen, wenn alles beim Alten bliebe. Ja, da würde ich wahrscheinlich den Glauben an sie verlieren.
2. Wo würdest du dich so wohlfühlen, dass selbst Kakteen anfangen, dich um Tipps für den Umzug zu bitten?
Spielst du gerade auf eine Stelle in meinem Sachbuch über die Heldinnenreise an, das erst im nächsten Frühjahr herauskommt und das du deswegen eigentlich noch gar nicht kennen kannst? Ich erzähle da von einer Medizinwanderung in Gallipoli, in der riesengroße Kakteen ebenfalls eine Rolle spielen. Das Learning dieser Medizinwanderung war damals: „Jetzt weißt du ja, wo du hin musst, wenn du mal wieder die goldene Kugel verlegt hast“ (die goldene Kugel meint meine königliche Kraft, meine Mitte). Auch hier also wieder umgekehrt: Wenn ich mich so richtig fett wohlfühlen, genährt und sukkulent fühlen möchte, dann reise ich zu ihnen – das geht auch ganz hervorragend von der Couch aus, weil Apulien im Sommer einfach zu warm ist. Eine andere Frage, die sich stellt, ist: Wären Kakteen auch in Hamburg noch so wunderbar sukkulent?
3. Was wäre für dich so perfekt, dass selbst "Geena und der Mückenschiss*" neidisch würden?
Die meiste Zeit bin ich ja eigentlich neidisch auf Geena. Vor allem darauf, dass sie ihren (Mücken-)Schiss tatsächlich überwunden hat. Aber worauf wäre Geena neidisch? Ich glaube, insgeheim ist sie darauf neidisch, dass ich schon groß genug bin, ein Auto zu fahren, mit dem man überall dort übernachten kann, wo man das möchte. Und vor allen Dingen darauf, dass ich nicht mehr zur Schule gehen muss 🤣.
4. Bei welchen Fehlern würdest du nur lächeln und denken: "Ach, das könnte mir auch passieren, bevor ich meine erste Zigarette hatte"?
Wenn ich morgens selbst meine erste Zigarette hatte, denke ich das eigentlich bei so ziemlich allen Fehlern. Hatte ich sie selber nicht (+ den obligatorischen Kaffee), ist da nix mit Lächeln. Eigentlich noch nicht mal mit Denken …
5. Welche Romanheldin bringt dein Herz so zum Schmelzen, dass du ihr sogar verzeihen würdest, wenn sie den allerletzten aller Kekse stibitzten würde?
Auweia, den allerletzten aller Kekse. Ich hasse das ja, wenn ich mir Sweeties kaufe und sie mir voll gut einteile. Und wenn ich dann voller Vorfreude den gemeinsamen Schrank aufmache und dann ist die Schachtel leer, da schwillt mir echt der Kamm. Wem würde ich das nachsehen? Da gibt es nur eine, die nicht wirklich eine Romanheldin ist, aber fast. Es ist Catwoman. Vor allem die in der Darstellung von Michelle Pfeiffer. Das liegt wohl daran, dass sie nicht nur wahnsinnig gut aussieht, sondern eben auch Katze ist. Die haben das mit dem allerletzten Keks voll gut drauf.
6. Welche historische Gestalt bewunderst du so sehr, dass du ihr dein Laptop anvertrauen würdest?
Ariadne. Vielleicht würde sie das dazu bringen, endlich ihre Sicht auf die Geschichte mit dem Minotaurus und dem angeblichen Helden Theseus aufzuschreiben und publik zu machen. Immerhin weiß ja kaum einer, wie’s nach dem unschönen Ende von Knossos weitergegangen ist. Was war, nachdem Theseus und Ariadne von Kreta weggesegelt sind? Theseus hat Ariadne auf einer einsamen Insel ausgesetzt. Da hat sie sich entweder von einem Felsen gestürzt oder eine wilde Frauengemeinschaft gegründet. Welche Variante hat sie wohl gewählt? Und was ist da wohl auf dieser einsamen Insel passiert? Was hat Mutter Natur mit ihr gemacht? Vielleicht würde sie ihre Heldinnenreise schreiben. Das wäre schön. Und so wertvoll für uns Frauen, die wir ja nur mit der Version der alten, weißen Männer aufgewachsen sind.
7. Welche echte, derzeit lebende Heldin bewunderst du? Und warum?
Ich bewundere jede Frau, die es schafft, aus der patriarchalen Struktur der ewigen Leistungsoptimierung auszusteigen und einfach nur ist. Sich selbst genug ist (was sie übrigens schon immer war, also auch, bevor alle damit angefangen haben, ihr zu sagen, was alles nicht genug ist). Und genau deswegen andere ebenso einfach sein lässt. Warum? Es erfordert Mut und Vertrauen. Und zwar in Dinge, die wir nicht kennen, das sind wir selbst, und in Dinge, die wir nicht kontrollieren können, wir reden dann von Zufall oder Vorhersehung oder so. In Wahrheit ist es aber nur Hingabe an das, was eben gerade da ist. Und das ist meist 'ne Menge.
8. Welche Heldin der Dichtung/Literatur verehrst du so sehr, dass du ihr deine heißgeliebten neuesten Buchseiten blind anvertrauen würdest?
Ganz ehrlich? Vielleicht hältst du mich für lebensmüde, aber ich würde ja wahnsinnig gerne mal mit Marcel Reich-Ranicki über meine Buchseiten reden. So sehr er "Büchernörgeli" war, so klug, wahrnehmend und über alle damals bekannten Grenzen hinausdenkend war er auch. Nur ist der keine Heldin. Wem ich sie auf jeden Fall anvertrauen würde, wäre Jessica Fletcher aus „Mord ist ihr Hobby“. Von der hab ich ’ne Menge gelernt. Der könnte ich vertrauen, dass sie mich nicht runtermacht, beschimpft etc., sondern völlig neutral kommentiert, auch mal weiterdenkt. Ich mag die.
9. Wer kann so den Pinsel schwingen und mit Farben umgehen, dass du ins Träumen gerätst? Oder ins Zweifeln?
Hihi, ins Zweifeln gerate ich öfter als ins Träumen. Im Moment denke ich gerade darüber nach, wie ich den Jaguar auf meinem linken Oberarm in Rousseaus Dschungel bekomme.
10. Dein Lieblings-Komponist?
Gibt’s keinen. Hauptsache die Mucke passt zu meinem aktuellen Need. Das fängt bei der Fledermaus an, geht über Steve Reich und hört bei Jazz nicht auf. Ich mag manchmal sogar so richtige Schrubbe. (Anmerkung: Fränkisch-Schrubbe ist (hard) Rock.)
11. Welche Eigenschaften schätzt du an Menschen?
Wertschätzung und Begegnung auf Augenhöhe.
12. Welche deiner Tugenden findest du so bewundernswert, dass du sie sogar auf ein T-Shirt drucken und stolz zur Schau stellen würdest? (und warum machst du es nicht?)
Meine was??? Ich habe zwei Shirts mit Aufdruck, die ich vor mir her trage wie eine wehende Fahne. Auf dem einen steht: "Weil Worte wirken". Das ist so. Das haben wir alle erlebt, vor allem in unserer Kindheit und auch später noch. Nun gut, wenn Worte, in die eine Richtung wirken können, dann funktioniert das auch in die andere. Das ist zumindest mein Ziel, das auf meinem Banner steht. Festgekrustete Gehirnwindungen aufbrechen, indem man die Macht der Worte neu entfacht und sie gänzlich neu einsetzt und neue Konnotationen schafft. Neue Wirkungen etabliert. Auf dem anderen Shirt ist eine Fabelfigur aus den Comics von Pescatori di Storie, also die Geschichtenfischer aus Gallipoli. Und der passt wie A auf E zu alexandresk und dem bunten Stil, den sie fährt. Das Shirt trage ich immer dann, wenn ich mich ganz besonders wohl, angebunden, magisch und weird fühlen will. Denn da sind ja dann alle dabei: die Kakteen, die Omas (ganz besonders Bloody Mary), die goldene Kugel, das Storytelling …
13. Was tust du am allerliebsten?
Reden, zuhören, mitschwingen, neue Welten kreieren und schweigen. Manchmal auch über den indirekten Weg Lesen und Schreiben.
14. Wer oder was möchtest du sein, dass du beim Anblick deines Spiegelbildes denkst: "Wow, das bin ich und das ist gut so!"
Du weißt, dass Männer vorm Spiegel denken „wow, das bin ich und das ist gut so“? Dieses Zwiegespräch dauert knapp 30 Sekunden und läuft nur über die Augen. Da wandert der Blick nicht über Bauch-Beine-Po-Problemzonen, die diesen Wow-Effekt erfolgreich verhindern. Frauen stehen wesentlich länger vorm Spiegel und denken das genaue Gegenteil. Ich wiederum habe ganz andere Zeiten erlebt. Das ging damals sogar so weit, dass ich die im Spiegel gar nicht mehr erkannt hab. Insofern ist dieser kleine unscheinbare Satz „das bin ich“ für mich bereits ein Meilenstein. Ich möchte absolut niemand anderer als ich sein, wenn ich vorm Spiegel stehe und fühle „wow, das bin ich und das ist gut (um ehrlich zu sein, sogar exzellent!!!) so“. Denn so gehört das.
15. Dein Hauptcharakterzug? Heute und in Zeiten vor heute ....
Manchmal kann ich ganz schön dreist sein …
16. Was schätzt du bei deinen Freunden am meisten?
Wenn ich mit ihnen lange und tief reden und auch genauso schweigen kann.
17. Was war dein größter „Bockmist“?
Als ich die Silgranit-Platte** von meinem Host verbrannt hab. Damals durfte ich in #hamburgmylove das Haus hüten und hab zwei Wochen damit verbracht, das Missgeschick ungeschehen zu machen, was selbstverständlich nicht gelang. Am schlimmsten war der Tag, an dem ich es zugeben musste. Was hab ich da nicht vorher für irre Horrorfilme geschoben, die alle irgendwie in einer Dystopie endeten. Und dann kam der Moment. Ich bin aufgestanden und hab’s gesagt. Und was soll ich sagen? Nix ist passiert. Das einzige, was kam, war: „Shit happens.“ Ich glaube, ich habe mich noch niemals vorher so aufgefangen gefühlt wie in diesem Moment. Insofern bin ich meinem Bockmist echt dankbar. Wahrscheinlich wäre das mit jedem Bockmist so, wenn ich ihm genügend Gelegenheit bieten würde, sich zu entpuppen. Nur meistens schiebt man die Erinnerung an ihn ja möglichst weit weg …
18. Dein Traum vom absoluten Glück
Mein Traum wäre, mit vielen gleichgesinnten Frauen auf einer Insel zu leben. Das muss gar keine echte Insel sein, abgeschieden würde schon reichen. Ein Raum, in dem sich Frauen sicher, geschützt und begleitet auf ihre eigene Heldinnenreise begeben können, um danach als die, die sie wirklich sind, wieder in die Welt zurückzukehren und das in Tat umzusetzen, was sie erleben durften: Egalität, Wertschätzung und Begegnung auf Augenhöhe (wenn da noch der ein oder andere gutaussehende FSJler dabei wäre, würde ich das auch nicht ablehnen 🤣).
19. Was möchtest du sein?
Ich, ich, endlich ich. Ich schätze, das reicht … Das „was“ kommt dann automatisch.
20. Deine Lieblingsfarbe?
Hab ich alle in meinem Logo: Blau, gelb und Magenta. Fruchtig-funtastisch.
21. Deine Lieblingsblume?
Gerbera, die strahlt so und ist so aufrecht und so saftig. Ich mag die. Ich könnte die stundenlang anschauen und mich in sie reinfallen lassen wie damals der Bär in die Bettwäsche.
22. Dein Lieblingsvogel? Also einer von denen mit Flügeln …
Mit Vögeln ist das wie mit Katzen. Die fragen nicht nach deinen Vorlieben. Ich mochte die Krähe, die plötzlich auf meine Schulter geflogen ist, um an meiner Zigarette zu ziehen, genauso gerne wie die Eichelhäher hier, die sich einen Spaß daraus gemacht haben, mich auf bevorstehende Mini-Abenteuer hinzuweisen. Ich mag die singenden Amseln, die furchtlosen Rotkehlchen, die in sich ruhenden Reiher. Ganz besonders berührt bin ich, wenn ich ab und zu mal einen Eisvogel sehen darf, das ist wie ein Geschenk nur für mich. Am meisten berührt hat mich allerdings die Schleiereule, deren von einem Lkw abgerissenen Flügel ich zu einem schamanischen Fächer gemacht hab (den anderen Flügel hatte sich schon der Fuchs geholt). Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie unglaublich weich die Federn sind. Und wie viel Kraft da noch in ihnen steckt. Mit ihr bin ich am stärksten verbunden.
23. Was verabscheust du am meisten?
Ich antworte mit einem Zitat von meinem Kollegen Harlan Ellison (dann kann ich’s zur Not immer noch auf jemand anderen schieben): „You are not entitled to your opinion. You are entitled to your informed opinion. No one is entitled to be ignorant.“ ("Du hast kein Recht auf deine Meinung. Du hast ein Recht auf deine informierte Meinung. Kein Mensch hat das Recht, ignorant zu sein.")
24. Welche (über)natürliche Gabe möchtest du besitzen?
Danke, keine mehr.
25. Deine momentane Geisterverfassung? Oder Geistesverfassung?
Du meinst spirituell oder spirituös? - Alkoholfrei 🤣. Nee, im Ernst: Ich erlebe noch immer "Auf und Ab's", aber das ist okay so. Früher hat mich die Amplitude dieser Wellen ganz schön fertig gemacht. Mittlerweile weiß ich, was mir guttut, wie ich mich auffangen und halten kann. Mit anderen Worten: Ich habe verstanden, dass ich die Wellen nicht stoppen kann, und ich habe gelernt, sie zu surfen. Dazwischen gibt es jede Menge Leben!
26. Dein Lebens-Motto?
Ein Motto neben all denen, die die Omas so auf’n Tisch packen? Die ändern sich ständig! Am Anfang meiner Reise stand „Hast du’s dir eigentlich verdient, amal a Ruh zu gehm?“. Das hat gedauert, bis ich darauf mit Ja antworten konnte. Dabei geholfen hat mir „aweng bleed schaung“. Aktuell darf ich gerade „es is des dran, was dran ist“ lernen. Wer weiß, vielleicht entsteht daraus irgendwann mal ein einziges Motto, z. B. 42 oder so. Hauptsache fruchtig, funtastisch und weird.
Danke, liebe Alex, für dein Vertrauen und deine offenen Worte. Ich habe das Gefühl, dich nun noch besser kennengelernt zu haben. Danke dafür!
*Geena und der Mückenschiss Alexandras kongeniales Buch mit mindestens drei Omas! Komisch, dicht, ehrlich. Das Alles ist nicht zum Lachen, eher im Gegenteil. Und dann, am Ende, dann lachst du vor Glück des Erkennens.
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Hier kommst Du zu den Interviews und Fragerunden der Schreibfreundinnen:
Marion wurde befragt von Susanne aka Finde-Deine-Spur.com
Claudia stand bei Marion aka Silent Moves.blog Rede und Antwort
Evelyne lieferte Antworten auf Fragen von Claudia Kaleita Moments.com
Susanne antwortete auf Fragen von Alexandra aka Alexandresk
Meine Antworten auf viele Fragen findest Du bei Evelyne Peters
Tolle Fragen!