Menschen können sich über alles aufregen. Klar. Derzeit mal wieder aktuell: „UNSERE SPRACHE GEHT DEN BACH RUNTER! WIRD VON FREMDWÖRTERN GEFLUTET. VERHUNZT.“ Und wenn dann noch, wie gerade aktuell, das Jugendwort gewählt wird, dann ist der Aufschrei mancherorts groß. Aber: Ist das berechtigt! Stimmt es wirklich, dass unsere Sprache verfällt? Verfremdet wird? Oder handelt es sich hierbei um einen „natürlichen“ Wandel, eine Weiterentwicklung?
Sapperlot! Was ist das für ein hanebüchener Kokolores, treibt da ein Schlingel Schabernack? Verstehst Du, was gemeint ist? So könnten sich vielleicht Deine Urgroß- oder Großeltern ausdrücken. Je nach Alter. Und vielleicht verstehst Du das auch. Oder Du hast diese Ausdrücke noch nie gehört.
Umgekehrt wird es ihnen vielleicht ebenso ergehen. Also meinem lieben Nachbarn, der stolze 97 Jahre alt ist, sagen Worte wie swipen, gendern, oder woke so gar nichts. Und unter Tablet versteht er auch etwas anderes als das, was ich meine. Dafür muss ich bei Begriffen wie Kolter, blümerant oder Kommissbrot* schon nachdenken.
Mit diesen Beispielen wird deutlich: Sprache ist ein lebendiges Gebilde! Schon immer. Überall. Und übrigens in allen Sprachen.
Und – hier lege ich mich schon mal fest: Das ist gut so! Wir leben, das Leben und Lebensumstände ändern sich ständig und da halte ich es nur für gut und wichtig, dass die Sprache sich mit ändert. Wäre doch komisch, wenn wir für super-neue Erfindungen und Technologien keine neuen Worte hätten – oder? Die sich verändernde Sprache hat auch was von „ewigem lernen“ …
Weil Worte wirken
Es ist ganz offensichtlich: Worte wirken! Ob Du in einem Roman liest, eine Liebeserklärung bekommst oder in einen heftigen Streit gerätst – Du spürst, wie Sprache Dich berührt. Worte können Trost spenden oder tief verletzen, erfreuen, frustrieren oder irritieren. Manche hängen Dir tage- oder gar jahrelang nach. Und am Beispiel Roman/Literatur merkst Du es vielleicht gerade selbst. Hältst Du ein älteres Werk in den Händen, stolperst Du beim Lesen sicher ab und zu über Formulierungen und Begrifflichkeiten, die heute so nicht mehr gegenwärtig sind.
Alles hat seine Zeit. Und sein Verfallszeit. Dazu gehören meiner Meinung nach auch Worte. Und ich bin nicht der Meinung, „dass unsere schöne Sprache den Bach heruntergeht“**. Sprache lebt. Mal leicht, humorvoll, flüchtig, mit einer kurzen Halbwertzeit. Dann wieder beständig, ernst und dauerhaft.
Der Griff in die „Wortspielkiste“
Was mich allerdings manchmal ratlos den Kopf schütteln lässt, sind sogenannte „kreative Werbesprüche“. Wobei man dem Erfinder von „Geiz ist geil“ schon fast Respekt zollen muss. Hat dieser Slogan doch das Einkaufsverhalten einer ganzen Generation geprägt. Ob das gut war, sei dahin gestellt. Hier wird die „Macht des Wortes“ für jeden spürbar. Und eine sich daraus ergebende Sozialisierung.
Gruselig finde ich allerdings Wort- und Sloganschöpfungen wie „Ich bin dir Farfalle“ (Werbespruch eines Lieferservices) oder „Nach allen Riegeln der Kunst genießen“ (Süßwarenhersteller). Verquer klingt für mich auch „We kehr for you“ der Slogan einer Stadtreinigung. Oder die Aufschrift auf den Bussen hier in der Stadt: <orne einsteigen!
Die neueste Wortneuschöpfung: NEUPHORIE
Damit wirbt, ganz aktuell, der Computerladen mit dem Apfel. Wir Kunden:innen sollen ob des neuen Geräts ganz euphorisch sein, und in „Neuphorie“ ausbrechen. So weit, so schlecht. Und dabei ist Euphorie ein tolles, aber so gar nicht deutsches Wort. Es stammt aus dem Griechischen euphoría = das leichte Tragen. Wird schon ewig ganz selbstverständlich genutzt. Und hat, meiner Meinung nach eher zur Sprachvielfalt als zur Verhunzung beigetragen.
Ob das schon ein Neologismus, also eine Wortneuschöpfung ist – ich weiß es nicht. Auf jeden Fall gehört es zu den zwei Wörtern, die mir bisher nicht bekannt war. Also die Neuphorie und der Neologismus. Und meinem 97-jährigen Nachbarn auch nicht. Was er aber in seinem langen Leben immer wieder festgestellt hat: Ja, es gibt Wortneuschöpfungen! Und andere Wörter verschwinden. Seine Beispiele: Maskenpflicht und Abstandsregeln. Das sind gleich zwei Wörter, die in den letzten drei Jahren urplötzlich omnipräsent waren. Und vielleicht auch wieder aus unserem Sprachgebrauch verschwinden werden. Wie die Kolter und das Kommissbrot.
Das „Jugendwort 2023“ Goofy ist meinem Nachbarn allerdings bestens bekannt. Ungläubig fragt er: „Bist Du sicher, dass dies das neueste Jugendwort ist?“ Lachend erklärt er, dass Walt Disney bereits 1939 eine seiner tollpatschigen Comicfiguren Goofy nannte. Er ist der treue Freund von Micky Maus. Also ganz schön Alt-Modern.
Er findet „Goofy“ gut. Denn Sprache darf auch mal tollpatschig und komisch sein. Und leicht. Im kommenden Jahr wird’s dann wieder anders. Und Goofy spielt weiter den tollpatschigen Hund neben Micky Maus.
Ach so:
Also mir geht der „kreative Umgang“ mit der Sprache nicht wirklich auf den Nerv. Alles gut? Oder? Manchmal lassen diese Wortgebilde mich lachen, nachdenken oder den Kopf schütteln.
Spannend finde ich, nachzuforschen, woher die Worte kommen. Also warum finden Jugendliche „goofy“ auf einmal toll? Hast Du eine Idee? Lass' es mich gerne wissen ...
**Nicole Isermann stellt die Frage „Geht unsere schöne Sprache den Bach runter?“ Welche Formulierungen, Floskeln, Fehler oder Sprachbilder gehen Dir so richtig auf den Nerv?“ Herzlichen Dank liebe Nicole für die Inspiration und die Initiative.
*Kolter – die, hessisch = Wolldecke
*blümerant – Adjektiv = dass eine Person ein flaues Gefühl hat, es ihr ein wenig übel ist
*Kommissbrot (ab dem 16. Jahrhundert von Kommiss, im Volksmund allgemein und im umfassenden Sinne Militärdienst oder Wehrdienst) ist ein einfaches, haltbares Brot zur Versorgung von Soldaten
Ich finde es sehr gut, dass sich die Sprache weiterentwickeln darf und kann. Auch wenn es nicht viele Jugendliche geben dürfte, die da aktuelle Wort verwenden. Das ist nämlich immer eine sehr seltsame Wahl.
Was mich nervt ist, wenn mit Gewalt Fremdwörter oder Anglizismen verwendet werden, obwohl es auch deutsche Synonyme gäbe. Oft will da jemand mit irgendeinem "Sprech" prahlen.
Der Gernegroß.
LG
Sabiene
von https://sabienes-welt.de