top of page
  • AutorenbildChristine Ubeda Cruz

ALLES GUT! Oder etwa nicht…?



Hast Du es auch schon bemerkt: Hier bei uns ist ALLES GUT! So tönt es allenthalben.

Ob man die Kollegin fragt: „Brauchst Du den Zucker?“ oder „Wie war Dein Wochenende?“ kommt unisono die Antwort: ALLES GUT!

„Sorry, dass ich schon wieder zu spät bin“ - Antwort: ALLES GUT! Obwohl man sich ein Loch in den Bauch ärgert…


„Wie geht es Dir?“ - Antwort: ALLES GUT!

Auch wenn es schlecht ist. Ein bisschen schlecht oder so richtig. Egal ob die Katze aufs neue Sofa gekotzt hat. Oder irgendwelche Vollpfosten das Auto eingeparkt haben. Oder wir gerade echt mies drauf sind - egal, denn ... ALLES IST GUT!"


Passt scheinbar immer und sagt nichts. Das ist weder ein Ja noch ein Nein und nichtmal ein Vielleicht. Das ist ganz schlicht eine inhaltsleere Floskel. Die jedes weitere Gespräch im Keim erstickt. Zum einen, weil Fragen, auch ernst gemeinte, nicht beantwortet werden. Und zum anderen macht derjenige, der die Antwort gibt, unmissverständlich deutlich, dass er über dieses Thema kein weiteres Wort verlieren möchte. Eine ganz schön einseitige Kommunikation- oder? Deutlicher gesagt: Gespräch beendet! Denn wie will soll man da noch einhacken? Und in einen Dialog kommen?



WANN FING DAS AN, DASS AUF EINMAL ALLES GUT IST?


Auch ich habe diese merkwürdige Redewendungoft angewandt. Ob ich traurig oder ratlos, euphorisch und aufgeregt war - meine Antwort war: ALLES GUT! Komisch oder? Irgendwie macht „man“ das so. Vollkommen sinnbefreit - oder? Bis mal jemand nachhakte. Sich nicht mit dieser Phrase zufrieden gab. Und auch noch darauf hinwies, dass dies nicht mal ein grammatikalisch korrekter Satz sei!

😜


Da fing ich an, nachzudenken. Zuzuhören. Und stellte fest: Sowohl auf banale als auch auf tiefgründige und ehrlich gemeinte Fragen kommt viel zu häufig diese Standard-Antwort. Früher zogen solche Fragen lange Gespräche nach. Einen Austausch. Ein Miteinander. Teilen und Teilhabe. Lob und Kritik. Mit These und Antithese. Schlichtweg ein informativer Austausch. Der bereicherte. Wissen und Erfahrungen teilte. Oder half und unterstützte.


Ist uns unser Sprach- und Mitteilungsverhalten in der realen Welt mittlerweile abhanden gekommen? Verloren gegangen? Geschrumpft auf die Minimal-Kommunikation á la SMS und WhatsApp? Wollen wir uns nicht mehr mitteilen? Unterhalten. Miteinander reden. Austauschen. Informieren. Lernen und mit neuem Wissen bereichern?

Ist es Angst oder Scham, wahre Gefühle zu zeigen? Und sei es nur, dass man Zucker für seinen Kaffee braucht…


Oder - eifern wir den Amerikanern und Engländern nach, die nie eine wirkliche Antwort auf ihre Frage HOW ARE YOU erwarten? Ein joviales FINE ist hier die erwartete und gesellschaftlich etablierte Antwort. Nicht mehr und nicht weniger. Was anderes wird nicht vorausgesetzt. Und auch nicht geliefert.


WAS IST LOS MIT UNS?


Dürfen oder wollen wir nicht zugeben, das es uns auch mal schlecht geht? Das wir enttäuscht sind und traurig? Oder uns eigentlich sehr gerne mal helfen lassen wollen. Wo es uns doch so gut gehen könnte. Wir alles selbst regeln könnten. Vielleicht.


Möchten und müssen wir den Eindruck erwecken, immer alles im Griff zu haben? Haben wir Angst, die Kontrolle zu verlieren über ein Leben, in dem wir uns Rat, Hilfe, Unterstützung für fast alles holen können? Apps fürs Gemüt, Portale für die Liebe, Therapeuten und Coaches für alle Lebenslagen, Pillen für die gute Laune, Lieferdienste für die Wasserkisten und Alexa, die auf nahezu alle Fragen (irgend) eine Antwort liefert. Und die „Gurus“ der Selbstoptimierungsindustrie machen uns weiß, dass wir uns zur idealen Version, zum besten Ich, formen könnten. Mit ihrer Hilfe. Anonym und diskret. Wir müssen es halt nur wollen.

Da es für schlicht jedes Problem offenbar eine Lösung (zu kaufen) gibt, sind wir wohl selbst schuld, wenn es nicht rund läuft. Aber das können wir auf keinen Fall zugeben. Und wenn wir dann auch noch einfach mal maulfaul sind, nicht reden wollen, passt die Antwort ALLES GUT total super!


ICH FINDE DAS Sch*iß*! B*ckm*st! *b*rt*g.


Ich habe mir fest vorgenommen, diese merkwürdige „Nicht-Antwort“ zu vermeiden. Der Situation angemessen ehrlich zu antworten. Und damit in ausführliche Gespräche zu kommen. Die fehlen mir nämlich. Das ehrliche Interesse an einer Meinung. Die wahrhaftige Aussage, dass es momentan super ist. Oder aus diesem oder jenem Grund gar nicht gut ist. Die Nachfrage und das Angebot nach Hilfe und Unterstützung. Und wenn es „nur“ darum geht, jemandem sein „Ohr“ zu leihen. Einfach zuzuhören. Mit wahrhaftigen Menschen. Mit Herz, Seele und Verstand. Die gerne den Zucker annehmen oder reichen. Die helfen, die Wasserkisten zu schleppen. Die Interesse an den Wochenend-Erlebnissen haben. Und ich an ihren. An den Details, Ereignissen und Erlebnissen, die wirklich passiert sind. In aller Breite, ausschweifend erzählt und hinterfragt. In langen Gesprächen. Mit viel Zeit, Café oder Rotwein. Im Detail. Dann ist für mich „alles gut“. Ehrlich. Hilfreich. Gut!




50 Ansichten1 Kommentar

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page