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  • AutorenbildChristine Ubeda Cruz

Ist Altwerden echt ächzend?

Aktualisiert: 13. März


Männliches, erstauntes Gesicht im Comicstyle mit Sprechblase "ÄCHSZ"
Altwerden scheint alternativlos. Aber diese Geräusche?



Also mein Freund Jochen macht dieses Geräusch, wenn er sich hinsetzt. Aber auch, wenn er aufsteht. Und wenn er seine Jacke an- oder auszieht. Er macht es, wenn er morgens zur Arbeit fährt. Und wenn er abends nach Hause kommt. Jeder kann das Geräusch hören. Er offenbar nicht. Seine Partnerin Gabi ist genervt. Rollt die Augen und zuckt die Achseln. Und es irritiert sie. So sehr, dass sie etwas dagegen unternehmen möchte.


Gabi kann gut zeichnen. Und nutzt ihre Fähigkeit, einen kleinen Comic über Jochen zu gestalten. Jochen steht vom Sofa auf – die fetten Großbuchstaben schräg über ihm machen UUUHHFFZ!! Er schlüpft in seine Jacke. Aus der Achselhöhle quillt die Buchstabenfolge ÄCHSZ! Und beim Verlassen des Hauses Richtung Job entweicht in klagendes AACH seinen Lippen.


Die Comic-Zeichnungen sind richtig gut geworden. Gabi hat sie im Flur aufgehängt. Da, wo sie immer ihre aktuellen Werke präsentiert. Jetzt ist Jochen irritiert. Und ein wenig gekränkt. Er wehrt sich. Und besteht darauf, dass er auf gar keinen Fall diese merkwürdigen Geräusche von sich geben würde.


Gabi kennt diese Laute. Und zwar nicht von lustigen Comics. Und bisher auch nicht von ihrem Lieblingsmenschen. Sondern von Menschen, die in die Jahre gekommen sind. Also ihre Eltern. Die natürlich alt sind. Jochen gibt diese Geräusche erst seit kurzem von sich. Er ist jetzt am Ende seiner fünfziger. Ist das alt? Fängt's da an?



Ist das Ächzen der Soundtrack des Älterwerdens?


Jochen ist eigentlich ziemlich fit. Regelmäßig joggt er durch den Stadtwald. Spielt Squash mit seinem besten Freund. Seine Blutwerte sind in Ordnung, Herz und Lunge „Pups-gesund“. In den vergangenen Jahren musste er ein wenig aufrüsten. Der Gesundheit wegen. Einlagen für die Schuhe und eine Brille schmückt jetzt sein Gesicht. Aber ist das ein Grund zu ächzen? Oder hat das Ächzen gar nichts mit den, zugegebener Maßen älter werdenden Knochen, zu tun? Sondern vielleicht mit etwas ganz anderem?


Gabi beginnt zu recherchieren. Will ja ihren Jochen nicht zu Unrecht in eine bestimmte Schublade stecken. In der Sportwissenschaft wird sie nicht fündig. Die Geriatrie fühlt sich falsch an. Zu alt halt. Dann liest sie, dass das „Gegenpressen beim Heben“, wie man das Ächzen auch nennt, möglicherweise ein „einsetzende Altersatrophie“ sein könnte. Hey, stopp, denkt sie. Atrophie bedeutet Verkümmerung, die funktionalen Zellen verkleinern sich. Echt jetzt? Ist es schon so weit?


Etwas desillusioniert spricht sie mit Micha, einem gemeinsamen Freund. Im ähnlichen Alter wie Jochen und Kampfsportler. Er erklärt: „Ach, das ist doch nichts Schlimmes. Die Atmung ist wichtig, um die Kraft zu bündeln. Das Atmen erhöht die Körperspannung. Fokussiert auf die Bewegung. Und Atmen ist halt nicht geräuschlos.“


Ok, denkt Gabi, Jochen ist also fokussiert, wenn er aufsteht. Beziehungsweise seine Atmung. Aufstehen und hinsetzen sind Anstrengungen und ein Endfünfziger braucht das Fokussieren vielleicht mehr als ein 20-Jähriger.


Oder zeigen sich doch die ersten, noch harmlosen, Mängel? Wie bei Gabis Fahrrad, das sie gerade wieder aus dem Schuppen geholt hat. Das quietscht auch, wenn sie sich auf den Sattel setzt. Da fokussiert sich ihr Gewicht auf den kleinen Fahrradsitz. Sie und das Fahrrad sind halt auch schon etwas älter. Und Gabis Gewicht etwas höher. „Ach“, denkt sie, „alles hat eine Endlichkeit. Da nutzt kein Jammern. Weder über das olle Fahrrad noch über uns. Denn ja, wir werden älter. Jeden Tag.“


Gabi achtet jetzt noch mehr auf sich. Und probiert, was passiert, wenn sie beim Hinsetzen den Atem nicht zusammenpresst. Sich nicht auf die Bauch- und Oberschenkelmuskulatur fokussiert. Sondern normal weiter atmet. Erkenntnis: Sie ächzt nicht! Dafür plumpst sie ungebremst ins tiefe weiche Sofa. PLATSCH! Auch kein schönes Geräusch. Aber ein prima Motiv für eine neue Comic-Zeichnung. Für die Galerie im Flur.

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