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Hey, hast Du meine Nachricht nicht gelesen?

  • Autorenbild: Christine Ubeda Cruz
    Christine Ubeda Cruz
  • 24. Mai
  • 3 Min. Lesezeit
Graffiti einer Figur mit einem Maus-ähnlichem Gesicht
Schlechtes Gewissen? Nö, total entspannt


In meinem Handy stauen sich einige unbeantwortete Chatnachrichten. Sie machen mir ein schlechtes Gewissen. Meistens. Aber manchmal auch nicht.


Das Telefon klingelt. Meine Freundin ist dran. Leicht vorwurfsvoll fragt sie: „Hast Du meine Nachricht nicht gelesen?“ Ich entgegne ihr: "Nein habe ich nicht". Und im Stillen ergänze ich: Und ich bin keine schlechte Freundin, nur weil ich nicht direkt auf alle Nachrichten antworte. Im genannten Fall war es der schöne, aber sicher keine sofortige Antwort benötigende Wunsch an mich, einen erfolgreichen, weil besonderen, Tag zu haben. Klar könnte ich darauf mit einem Emoji reagieren. Muss ich aber nicht. Oder?



Muss der Mensch das Handy sofort zücken, sobald es zuckt?


Trotzdem fühle ich mich ertappt. Ein wenig plagt mich das schlechte Gewissen. Denn: Ihr Wunsch ist ja wirklich schön. Sie hat an mich und das, was ich heute vorhabe, gedacht. Und ja, diese und die meisten anderen Nachrichten wären in wenigen Sekunden beantwortet. Aber: Muss das? Muss ich diesen Mini-Computer sofort zücken, sobald es zuckt? Muss ich dafür alles im wahrsten Sinne des Wortes „stehen und liegen lassen“? Meine Tätigkeit ruhen lassen, Gedankengänge zurückstellen, einen Arbeitsprozess oder schlimmer, weil total unhöflich, ein Gespräch unterbrechen? Einen Sch**ß muss ich!


Jetzt höre ich schon den Aufschrei. Bei besagter Freundin und vielen anderen. Bereits während ich das hier schreibe. So etwas wie: Du bist undankbar. Das schafft Verbindung. Ist doch schön, wenn jemand an Dich denkt. Bei letzterem stimme ich uneingeschränkt zu. Alles andere halte ich für Blödsinn.


Klar schafft ein Handy Verbindung. Rein technisch gesehen die zwischen zwei Geräten. Und mit Nachrichten und Gesprächen die zwischen zwei Menschen. Und doch schätze ich weit mehr die Verbindungen, die ich zwischenmenschlich, direkt und gerne auch gefühlt habe. Da spüre ich, dass meine Freundin sich für das, was ich an diesem besonderen Tag vorhabe, freut. Dass sie mitfühlt und schon gespannt auf die Erzählung meiner Eindrücke und Erlebnisse sein wird. Und ja, dieses Gespräch führen wir wahrscheinlich am Handy. Und zwar dann, wann es uns beiden passt. Mit Zeit zum Reden, zum Nachfragen, zum Zuhören. Was mir unendlich mehr bedeutet und bringt, als ein schnell dahin getipptes Emoji.


Häufig keimt ein Gefühl von Stress in mir auf in Anbetracht der aufflackernden Nachrichten. Offenbar trifft dieses Phänomen nicht nur mich. Laut einer Umfrage der TK-Krankenkasse aus dem Jahr 2021 fühlen sich ein Viertel der Erwachsenen von der ständigen Erreichbarkeit gestresst.



Wir sollten Freundschaft nicht mit ständiger Verfügbarkeit verwechseln


Und trotzdem bin ich jedes Mal peinlich berührt, wenn ganz unten im Verlauf eine Nachricht auftaucht, die schon länger auf meine Reaktion wartet. Dann kommt es, das blöde Gefühl, dass ich das Versprechen, „in Kontakt zu bleiben“ gebrochen habe. Der Chat beweist ja deutlich das Gegenteil. Ich murmle schuldbewusst „hab' die Nachricht nicht gelesen“, oder die Antwort „zwar geschrieben, aber irgendwie wurde sie nicht abgeschickt“. Im stillen Kämmerlein rätsle ich jedoch über meine Trägheit, diese merkwürdige Vergesslichkeit und suche nach Ausreden. War ja wirklich viel los in den vergangenen Tagen! Dabei ist mein Handy eigentlich immer bei mir. Und ich lese viel. Und auch alle Nachrichten – ehrlich! Doch dann bindet irgendetwas Anderes meine Aufmerksamkeit. Später fällt mir dann ein, dass ich auf die eine, genau diese, Nachricht noch antworten sollte. Doch der Gedanke ist schnell wieder verdrängt. Vielleicht ist das ja eine Art von Verweigerung. Die mich jedoch irritiert. Denn ich schätze die Person, die auf meine Antwort wartet. Und eigentlich möchte ich ja auch antworten.


Mit dem Wort "eigentlich" komme ich auf den Punkt. Und kann es auch gleich wieder streichen. Denn: JA ich antworte Dir gerne! Aber dann, wenn ich Deiner Nachricht und meiner Antwort meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenken kann. Und das ist nicht immer gegeben. Und deshalb kann es vorkommen, dass meine Antwort auch mal etwas dauert.



Freundschaft bedeutet nicht, immer Chat-verfügbar zu sein


Diese Haltung befreit mich von Stress und dem fast chronischen Unbehagen, die eine oder andere Nachricht nicht sofort beantwortet zu haben. Und – ich bin keine schlechte Freundin, weil ich einem Ideal an Verfügbarkeit nicht entspreche: Auch wenn WhatsApp und viele NutzerInnen dies als Standard-Einstellung vorauszusetzen scheinen. Vielleicht ist ja das neue KI-Feature intelligent genug, um Antworten direkt in meinem Stil zu verfassen. Das ist dann schnell, aber ohne mein Herz, meine Gefühle und meiner Wertschätzung Dir gegenüber.


Deshalb: Es könnte sich lohnen, ab und an vielleicht ein wenig länger auf meine Antwort zu warten. Was meinst Du?



P.S.

Das Aller-Wichtigste: In meinen Freundschaften ist es mir sehr wichtig, Nähe und Verbundenheit zu leben und zu spüren. Ich möchte meine Freund:innen sehen und umarmen und diese Vibrationen spüren, die kein Handy sondern nur das echte Leben bieten kann.


P.P.S Meine eingeschränkte Chat-Verfügbarkeit gilt natürlich ausdrücklich nur im privaten Kontext.

1 Comment

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Helene
May 25
Rated 5 out of 5 stars.

Du sprichst mir aus der Seele...vielen Dank dafür

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