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  • AutorenbildChristine Ubeda Cruz

Es lohnt sich, neugierig zu sein


Samstag, 3. Juli 2021



Gelangweilt trottet Jan neben seinem Vater her. Der war der Meinung, dass Bewegung in der frischen Luft gut täte. Und der Wald ein großer Abenteuerspielplatz sei.

Das sieht Jan ganz anders. Er mault rum:

Wo und womit soll ich denn hier spielen? Hier ist doch alles nur braun und grün. Und außerdem: ständig diese fliegenden Viecher! Mücken, Käfer - das ist voll öde.“

Mürrisch verlässt er den Waldweg. Schlägt sich mit seinem Ast, den er als Stock wie sein Opa benutzt, in den Wald. Stapft missmutig durch das alte Laub vom letzten Herbst. Und hat kein Auge für das saftige Grün, dass ihn rundherum umgibt. Er ist ganz tief drin in seine Unzufriedenheit. Hört nicht das fröhliche Gezwitscher der Vögel. Sieht nicht die Sonnenstrahlen, die durch das Laubdach Striche und Lichtkringel auf den Waldboden malen.

Für Jan ist das wieder einer dieser blöden Ideen seines Vaters. Viel lieber würde er jetzt in seinem Sitzsack lümmeln. Und mit der Play-Station spielen. Da könnte er wenigstens gruselige Wesen jagen.

Wütend schlägt mit seinem Stock auf einen morschen Baumstamm. „Du blödes Ding“ denkt er. Und bleibt erschrocken stehen. Ruft, leichte Panik in der Stimme:


„PAPA! Iiih, was ist das denn?“

Vater: „Jan, was hast Du denn?“

Jan: „Papa, komm schnell! Hier ist ein ganz komisches Tier…! Und es bewegt sich…“


Der Vater bahnt sich schnell den Weg zu Jan.

Und fragt: „Zeig - was hast Du gefunden? Ach, Du bist ja ganz aufgelöst. Was ist denn passiert? Komm her mein Großer…“ Beschützend nimmt er seinen Sohn in den Arm. „Lass mal sehen?“

Jan zeigt stumm mit großen, etwas ängstlichen Augen auf seinen Fund.



Haben Käfer ein Geweih?

Auf dem morschen Baumstamm kriecht ein ganz schön großer Käfer entlang. Geschätzt so etwa 9 Zentimeter lang. Er hat rötlich dunkelbraune Flügel, die in der Sonne blitzen. Der Kopf ist schwarz. Und irgendwie sieht es aus, als trüge er am Hals ein dickes, schwarzes Schutzschild. Wie bei einem Ritter. Damit jedoch nicht genug. Ein wirklich Furcht einflößendes Geweih verlängert vorne seinen glänzenden Körper. Und das sieht aus wie bei einem Hirsch!

Der Vater führt Jan zu einem anderen dicken Holzstamm. Gemeinsam setzten sie sich hin. Und er beginnt, zu erklären:


„Jan, Du Glückskind, Du hast einen Hirschkäfer gefunden!“

Jan entgegnet: „Echt? Heißt der so? Der hat mich ganz schön erschreckt. Das Geweih sieht aus wie die Kampfwerkzeuge in meinem Fantasy-Spiel auf der Play-Station. Wenn ich da geschickt kämpfe, kann ich gegen all meine Gegner siegen.“


Der Vater lächelt und sagt:

„Das mag in deinem Spiel funktionieren. Hier aber nicht. Das Geweih sieht zwar gefährlich aus, kann aber kaum verletzten. Und Dich schon mal gar nicht.“

Jan fragt: „Und kann er damit fressen?“

Sein Vater entgegnet: „Nein, auch nicht.“

Jan ungeduldig: „Und für was ist das dann gut?“

Sein Vater erklärt: „Damit kann der Hirschkäfer mächtig Eindruck schinden und andere männliche Rivalen verscheuchen. Wie Du dir schon denken kannst, ist das hier ein Männchen.“

Plötzlich ist Jan wieder ganz aufgeregt. Mehrere Käfer bewegen sich in der Luft. Fliegen kann man das nicht wirklich nennen. Sie taumeln und fallen eher umher. Und alle haben das große Geweih vor dem Gesicht.


Jan: „Oh, hier ist ja eine ganze Sippe mit Geweih unterwegs! Könnten in den Kampf ziehen, wenn sie besser fliegen könnten! Und sie brummen!“

Sein Vater erklärt ihm, dass die Kerle echt schlechte Flieger sind. „Die sind einfach zu dick und vorne durch das Geweih zu schwer. Ganz schlecht für die Aerodynamik“

„Weißt Du eigentlich, das der Hirschkäfer die größte in Europa beheimatete Käferart ist? Und schon seit langem unter Naturschutz stehen?“


Jan schüttelt den Kopf. Und war jetzt ernsthaft daran interessiert, mehr über diese merkwürdigen Tiere zu erfahren. „Papa, was weißt Du noch über die Hirschkäfer?“

„Wie so oft in der Natur, sind auch hier die Weibchen kleiner und unscheinbar. Ihnen fehlt das imposante Geweih und sie werden nur halb so groß. Interessant ist, das Hirschkäfer nur wenige Wochen lang leben - so von Juni bis August. Jetzt fliegen sie aus, sind auf Nahrungssuche. Das Brummen entsteht durch den Luftwiderstand ihrer Körper beim Fliegen“ führt sein Vater aus.


Süßes im Wald


Jan fragt: „Was suchen die denn zum Essen?“


„Nun, so wie Du! Sie suchen nach 'was Süßem.“ antwortet der Vater augenzwinkernd.

Jan entgegnet: „Schokolade?“

Sein Vater schmunzelt. „Nein. Die Hirschkäfer naschen zuckerhaltigen Saft. Den finden sie in den Wunden von Bäumen. Am liebsten mögen sie den süßen Saft von Eichen.“

Jan erstaunt: „Bäume haben Wunden? Wie haben die sich denn verletzt? Die stehen die ganze Zeit doch nur blöd rum!“

„Ja, da hast Du wohl recht“ entgegnet der Papa. „Aber schau mal. Der Stock, den Du da festhältst, wurde irgendwann durch einen Sturm oder Trockenheit beschädigt. Er wurde krank, die Blätter welkten, er erhielt keine Nahrung mehr aus der Wurzel des Baumes und fiel beim nächsten starken Wind ab. So bekam der Baum seine Wunde. Klitzekleine Mikro-Organismen verwandeln das Wundsekret des Baumes in Alkohol. Manchmal werden die Käfer vom Lecken des Saftes betrunken und fallen vom Baum.“

Jan kichert. „Hihi, betrunkne Käfer! So wie Opa manchmal nach dem Fußball? Nur hat der kein Geweih auf‘m Kopf.“

“Ja, so ähnlich“ antwortet verwundert sein Vater. Und erklärt weiter: „Da wo ein Baum Wunden hat, haben andere sie auch. Das ist leider der Preis, den die Bäume durch die Umweltzerstörung zahlen. Aber - gut für die Hirschkäfer. Somit gibt es Futter. Und das lockt sowohl die Männchen mit ihrem stolzen Geweih als auch die Weibchen an. Die machen hier richtig Party. Die Männchen sind auf Partnersuche und liefern sich mit ihren Rivalen heftige Kämpfe, wie in Deinem Fantasy-Spiel auf der Play-Station. Sie halten sich gegenseitig mit ihren kräftigen, gut drei Zentimeter langen Oberkiefern fest und versuchen, den Gegner vom Ast zu schubsen. Wem das gelingt, der darf sich mit einem Weibchen paaren.“

„Gibt es da auch Verletzte oder gar Tote?“ fragt Jan ängstlich. Denn nun findet er die imposanten Tiere doch ganz schön interessant.

„Nee, nee. Der unterlegene Käfer trollt sich und sucht sich eine neue Futterstelle und ein anderes Weibchen zur Paarung.“

„Papa, Du hast gesagt, dass die Hirschkäfer nur so kurz leben. Wie funktioniert das, das im nächsten Jahr wieder welche da sind?“

„Was Du alles wissen willst! Ist wohl doch ganz spannend hier im Wald - he?“ Er gibt Jan einen freundschaftlichen Stupser…

„Nun, das Weibchen gräbt sich nach der Paarung tief in die Erde ein. Sie legt ihre Eier in morsches Holz oder in eine absterbende Baumwurzel. Danach stirbt sie. Aus den Eiern entwickeln sich Larven. Diese verwandeln das tote Holz in eine nährstoffreiche Masse. Komischerweise können sie selbst kaum etwas davon nutzen. Deshalb entwickeln sie sich sehr, sehr langsam. Es kann bis zu 7 Jahre dauern, bis aus einer Larve ein ausgewachsener Käfer wird.“

„Und was wird aus den Männchen mit den tollen Geweihen?“ fragt Jan.

„Nun, die sind ja besoffen“ meint der Vater lächelnd. „Nee, Spaß beiseite. Nach der Paarung sterben sie ebenfalls. Sie haben ein kurzes aber dafür erfülltes Leben!“


***

Eine wahre Geschichte


Wie kam es zu dieser Geschichte? Nun, ich selbst ging vor ein paar Tagen hier im Frankfurter Stadtwald mit meinem Lieblingsmann spazieren. Und auf einmal lag ein Hirschkäfer vor meinen Füßen. Und einige flogen taumelnd um uns herum. Mein Liebling fuchtelte hektisch mit den Armen vor seinem Gesicht umher. Ärgerte sich über die flatternden Viecher.

Ich aber war fasziniert!


Schon seit frühester Kindheit freue ich mich immer, wenn ich eines dieser ungewöhnlichen Tiere sehe. Und jetzt ein ganzer Schwarm. Und ich erinnerte mich an die Spaziergänge mit meinem Vater. Oft trabte auch ich gelangweilt neben ihm her. Doch manchmal entdeckte ich irgend etwas und war total begeistert. Und „fragte ihm Löcher in den Bauch“ - so sagte er es immer.

Das ist lange her. Leider kann ich ihn nicht mehr fragen.

Wieder zuhause, musste ich dem Geheimnis der Hirschkäfer auf den Grund gehen. Und befragte das Internet. Ein Beitrag vom NABU war für mich sehr hilf- und lehrreich. Er bildet nun die Grundlage meiner kleinen Geschichte.


Kennst Du das auch? Du siehst, hörst oder liest etwas und willst unbedingt und sofort wissen, was es damit auf sich hat? Schön, diese Neugierde, nicht wahr!? Bereichernd. Lohnt sich doch... - oder?


Danke Dir, dass Du neugierig bist und bis hierher gelesen hast :-)

Bleib' so!



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