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  • AutorenbildChristine Ubeda Cruz

Das Ohr zur Welt


Wir schauen und wir lauschen in die Welt hinein. Das gehört zum Leben einfach dazu. Hilft und schützt es uns doch bei Vielem. Aber manchmal erfahren wir auch Dinge, die nicht für uns bestimmt sind.

Neulich im Café. Unser Lieblingsplatz für die raren Treffen. Ruhig, heimelig. Meine Freundin und ich. Endlich zusammen. Wir haben uns viel zu lange nicht gesehen. Jetzt endlich ist Zeit, das zu teilen, was uns in den letzten Monaten beschäftigt hat. Worte, nur füreinander bestimmt. Und so gar nicht für andere. Wir stecken die Köpfe zusammen und tuscheln. Lachen. Schütteln den Kopf. Zeigen Fotos und reden über das, was uns bewegt.

Ein Mann sitzt alleine, mit gutem Abstand zu uns, und liest auf seinem Smartphone. Wir sehen seinen kahlen Hinterkopf und seine Ohren. Die sind auffallend groß. Und erwecken den Eindruck als würden sie „nach hinten hören können“. Immer wieder dreht der Mann sich kurz zu uns um. So als wolle er kurz checken, wie die Person aussieht, die gerade gesprochen hat.

Wir stecken wieder die Köpfe zusammen und quasseln weiter. Noch leiser. Noch vertraulicher. Und trotzdem haben wir das Gefühl, belauscht zu werden. Leichtes Unbehagen schleicht, wie langsam wirkendes Gas, in unser fröhliches Beisammensein. Wir entscheiden: Es ist Zeit, zu gehen!

Wir zahlen. Als wir das Café verlassen, sagt der Mann: „Euch noch einen schönen Tag“. Draußen müssen wir erst mal unserer Entrüstung Platz machen. Laut und eruptiv. Nicht eben freundlich. Was unsere Meinung zu diesem Mann betrifft. Und wir sind ganz sicher: Der hat jedes unserer Worte gehört. Unsere Gespräche aktiv verfolgt. Uns belauscht. Echt ein blödes Gefühl!

Auf dem Weg nach Hause denke ich nochmals über den „Lauscher“ – den Namen hatten wir ihm gegeben – nach. Ich denke darüber nach, was ich gesagt habe. Was meine Freundin erzählt hat. Und plötzlich wird mir bewusst, dass ich der Welt auch schon so manches abgerungen habe, dass ich auch in sie hineinlausche. Nicht absichtlich. Nicht spionierend. Aber trotzdem schnappe ich oft auf, was um mich herum gesprochen wird. Und manchmal behalte ich diese Stimmen, diese Aussagen auch in Erinnerung.

In der Stille ist gut lauschen

Emil Baschnonga

Gestern war ich die Frau, die mit gutem Abstand entfernt saß. Gemeinsam mit meinem Lieblingsmenschen. Auf der Terrasse eines kleinen Restaurants mit außergewöhnlich leckerem Essen. Wir hatten was zu feiern. Und auch viel zu bereden.



Am anderen Tisch saß ein Paar. Der Mann mit durchdringend lauter Stimme. Wollte seiner Begleiterin wohl imponieren? Auch sie aßen das fantasievolle Menü und tranken Weine aus der mit viel Detailliebe kuratierten Weinkarte. Und er kommentierte. Jedes der mikroskopisch kleinen Gurkenwürfel, das ungewöhnlich kombinierte Hauptgericht vom Schaf, die schaumige Soße, den Wein, das Wasser, und … er senkte seine Stimme nie. Und ich kam nicht umhin, ab und an zu ihm zu schauen, um zu erfahren, ob er überhaupt die tollen Speisen isst oder sie nur seziert und kommentiert.

Wir hätten uns auf eine andere Terrasse setzen müssen, um seinen Worten zu entgehen. Wir MUSSTEN das alles mit anhören. Es ging, dummerweise, gar nicht anders. Und wir bedauerten, dass unsere Ohren keine Klappen haben. Mit denen man sie verschließen kann. Wie unsere Lider, die die Augen bedecken können.

Wir versuchten, unser Gespräch fortzusetzen. Und unseren Abend für uns zu genießen. Doch spätestens, wenn der nette und äußerst aufmerksame Kellner am Nachbartisch erschien, wandelte sich der Wortschwall von der Begleiterin an den Mitarbeiter. Und der kam häufig. Hatte das Menü doch viele schöne, kleine Gänge.

Ich fragte mich, welche Gefühle, welche Beweggründe in den Ausführungen des Mannes mitschwingen. Wie es für ihn, aber noch mehr für seine Begleiterin, ist? Ob sie, er, oder sie gemeinsam ihr Dinner wirklich genießen konnten? Und ich dachte darüber nach, ob er wohl bemerkt hat, dass wir ihm, leider gezwungenermaßen, zuhören.

Wir sind dann gegangen. Haben unseren besonderen gemeinsamen Abend noch mit einem Glas Wein auf der heimatlichen Terrasse ausklingen lassen. Ganz ruhig …


Die fünf Sinne

Heute haben wir unseren gestrigen Abend nochmals Revue passieren lassen. Das außergewöhnliche Essen. Der tolle Wein. Unsere Freude daran. Und an uns. Und dann mussten wir nochmals über das Lauschen, oder besser gesagt: Das Hören – reden. Wir kamen zu dem Schluss: Wir hören immer und unweigerlich zu: Den Stimmen um uns herum, der Sprache, der Musik, dem Rauschen der Welt und allem, was um uns herum ist. Das kann manchmal zu einer ziemlichen Kakophonie im Kopf führen. Oder uns bereichern. Weil wir durch das, was wir hören, auf „andere“ Ideen kommen, Meinungen vielleicht überdenken, etwas Neues gestalten.

Hören zu können, ist ein Geschenk. Wie die anderen vier Sinne auch. Und die wurden gestern Abend allesamt gestreichelt. Das Essen hat ganz wunderbar unsere Geschmacksknospen gestreichelt, der zarte Parfümduft des Lieblingsmenschen kitzelte den Geruchssinn. Rosarote Schäfchenwolken und wunderschöne Genuss-Kreationen erfreuten den Sehnerv. Auch das Gehör hatte Freude. Und Herausforderungen an entscheidenden Stellen einfach mal wegzuhören. Vielleicht ist es, in Anlehnung an das wunderbare Zitat im „kleinen Prinzen“: „ Man hört nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Ohren unhörbar."*

WIR HABEN DAS WESENTLICHE GESPÃœRT! Mit allen Sinnen.





*natürlich heißt das Zitat korrekt:

„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."

Antoine de Saint-Exupéry




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