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  • AutorenbildChristine Ubeda Cruz

Aus der Haut fahren – oder – Schluss mit nett!

Wütende Frau die wweit den Mund aufreist und augenscheinlich schreit
Manchmal hilft nur "schreien"

Da hatte ich eine gute, und eher konservative Erziehung. Orientiert an bestimmten Werten. Habe gelernt, wie Worte wirken. Vor allem negative. Abwertende. Die zu vermeiden, haben mich zahllose Lehrgänge, Seminare und Coachings gelehrt. Doch manchmal kommt der Mensch in Situationen, wo das alles nicht mehr zählt. Vergessen ist. Oder von etwas Stärkerem überlagert wird. Was dann herausmuss. Eruptiv. Wie ein Strom Lava. Und dabei vieles zerstört.



Ein oft unterschätztes Verkehrsmittel. Die Straßenbahn. Sicher gleitet sie auf ihren Schienen durch die Stadt. In manchen Kurven quietscht es. In anderen ruckelt es. Sie hält gefühlt „an jeder Milchkanne“. Verbindet den Norden mit dem Süden und den Osten mit dem Westen. Oder umgekehrt.


Meist fühle ich mich in ihr ganz majestätisch. Habe ich doch meinen eigenen Fahrer. Mit einem ganz schön großen Fahrzeug. Doch manchmal bringt die Bahn mich aus dem Gleichgewicht. Dann, wenn ich stehe. Weil kein Sitzplatz frei ist. Und sie sich schwungvoll in die Kurven legt. Fühlt sich aber auch gut an. Ein wenig wie Karussell fahren.


Bei meiner letzten Fahrt war ich wohl mal eben im wildesten aller Karussells unterwegs. Also diese Fahrt hat mich nachhaltig aus dem Gleichgewicht gebracht.


Aber nun die Geschichte von Beginn an. Regennass, in der einen Hand das Handy, in der anderen den Koffer, springe ich in die haltende Bahn. Einhändig damit beschäftigt, auf meinem Mobil den Kauf der Fahrkarte abzuschließen. Noch gerade schnell den Zahlungsdienstleister freigeben – et voilà: Mein Fahrschein ist gekauft. Die Tür gleitet zu. Die Tram, so nennen viele Frankfurter die Straßenbahn, setzt sich in Bewegung. Ich atme auf. Raus aus dem Regen. Warm, geschützt und geschaukelt bin ich auf dem Weg nach Hause.


Entspannt schaue ich aus dem nassen Fenster. Wie grün die Stadt nach einer Woche Dauerregen ist. Und wie genervt die Fahrgäste sind. Es riecht feucht, muffig. Schmutzige Wasserlachen bedecken den Boden. Und werden immer größer. Je mehr Fahrgäste aus- oder einsteigen. Die meisten schauen resigniert auf ihr Telefon oder aus dem Fenster. Jeder versucht größtmöglichen Abstand zu halten und sehnt dem Ende der Fahrt entgegen.


Plötzlich wird es unruhig. Fast hektisch. Ein Sturm, in Form eines Mannes, fegt durch die Bahn. Laut und ungehalten bittet er jeden Passagier um den Fahrschein. Manche Mitfahrende muss er zweimal auffordern. Sind sie doch, dank ihrer Kopfhörer, abgetaucht. Irgendwann erreicht er auch meine Position. Und ich präsentiere meinen elektronischen Fahrschein auf‘m Handy. Fühle mich gut. Sicher. Habe ja, wie immer, einen Fahrschein.

Da herrscht der Kontrolleur mich an: „Ihren Ausweis!“


Kein Bitteschön. Stattdessen hektische Wut. Meine Reaktion darauf: „Warum?“


Seine Reaktion: „Weil Ihr Fahrschein nicht gültig ist!“.


Ich: „Hä, was? Den habe ich doch gerade erst gekauft!“


Er muffig und ungehalten: „Ja eben. Das ist das Problem. SIE HABEN DEN FAHRSCHEIN ERWORBEN, ALS SIE MICH UND MEINEN KOLLEGEN SAHEN!“


Rums, die Worte treffen mich ins Mark. Entbehren sie doch jeder Wahrheit. Der Kontrolleur unnachgiebig: „Das kann ich ja hier an der Uhrzeit auf ihrem Handy sehen.“


Ok, auf dem elektronischen Ticket wird die Uhrzeit abgebildet. Das muss und konnte in dem Moment aber nicht in Relation zur Abfahrt der Tram bzw. meinem Kauf und Einsteigen stehen. Ich antworte: „Also ich weiß nicht, was Sie wollen. Ich zeige Ihnen hier einen gültigen Fahrausweis vor.“

Er, sehr laut: „DEN HABEN SIE NACH DER ABFAHRT DER BAHN GEKAUFT. Damit ist er ungültig. Denn Sie müssen die Fahrkarte VOR dem Betreten der Bahn erstehen!“


Da der Kontrolleur sehr laut, äußerst unhöflich – die genauen Worte kann ich hier nicht wiedergeben – war – sagte ich: „Ok, dann möchte ich jetzt Ihren Ausweis sehen!“ Er trug nämlich, im Gegensatz zu seinem schweigenden und Augen rollenden Kollegen, keine Uniform. Darauf hin wirft er laut „729“ in den Raum.


Und ich: „Darf ich bitte Ihren Ausweis sehen? Wie heißen Sie?!“

„729“!!! seine Antwort. Nun, mir war bislang nicht klar, dass diese Mitarbeiter, wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen, nie mit ihrem wahren Namen antreten. Kann ich gut verstehen, bei dem Verhalten. Da „729“ trotzdem keine Anstalten machte, seinen Ausweis zu zeigen, fotografierte ich die am Hosenbund baumelnden Karte. Auf der ein Foto seines Antlitzes, die besagte Nummer und das Logo des Verkehrsverbundes zu erkennen war. Schon klar, dass diese Handlung nicht gerade zur Entlastung der Situation beitrug. Hitzige Tiraden gingen auf mich hernieder.



Scheiß auf gute Erziehung und jahrelanges Kommunikations-Training


Zwischenzeitlich hatte „729“ die Daten meines Ausweises erfasst und fragte zum wiederholten Male nach dem finalen Fahrtziel. Und dann präsentierte er mir einen etwa halben Meter langen Zettel mit den Worten: „Hier Ihr neuer Fahrschein. Begleichen Sie das erhöhte Beförderungsgeld von €60,00 innerhalb von 7 Tagen.“


Da war es dann vorbei mit meiner guten Erziehung. Ich war außer mir vor Wut. Am liebsten hätte ich gespuckt, gekratzt, getreten und gebissen. Und zwar alles gleichzeitig. Und ach ja: An den Haaren gezogen. Zierte doch ein ungepflegter grau-blonder Zopf das Gesicht dieses Pedanten. Zum Glück mussten meine Hände den Fahrschein, das Handy, den Koffer und mich in laufender Fahrt festhalten. Aber meine Zunge, die wurde jetzt locker. Und meine Stimme laut. So richtig. Und nannte „729“ „kleinlich“ und einen „Korinthenkacker“.


Das tat gut. Und brachte mir aufmunterndes Nicken der um uns herum sitzenden und stehenden Menschen ein. Wir hatten ja eine Tram voller Zuhörer und -schauer. Mehrere sagten laut: „Dass dieses Verhalten unmöglich sei, ich auf jeden Fall einen Anwalt einschalten solle.“


„729“ und sein schweigender Kollege stiegen an der nächsten Haltestelle aus. Und ließen, augenscheinlich, einen Passagier, der weder einen Fahrschein, noch einen Ausweis bei sich hatte, ziehen. Der junge Mann nahm zackig die „Beine unter die Arme“ und rannte davon.


Da stand ich nun. In der miefig, nassen Tram. Fühlte mich begossen, wie ein nasser Pudel. Mit laut schlagendem Herz und maßloser Wut. Wut über die gefühlte Ungerechtigkeit. Dir mir widerfahren ist. Einer Person, die bisher wirklich nie „schwarz“ gefahren ist.


Trotzig denke ich jetzt, das ich mir das zukünftig gut überlegen werde. Das mit dem Ticket kaufen. Denn 3,40 € für etwa 7 km Strecke sind schon kein Pappenstiel. Für 60,00 € hätte ich mir ein livrierten Fahrer mit einer dicken, fetten Luxuskarre für die Heimfahrt leisten können.


Also ganz ehrlich: „So wird das nix mit dem ÖPNV!“ Also nicht mehr mit mir.


P.S.: Fun fact zum Schluss: Ich musste für meine Fahrt nach Hause die Linie wechseln. Und wurde erneut kontrolliert. Übrigens von einem ausgesprochen netten Team. Mit meinem elektronischen Ticket war alles in Ordnung. Zum Glück hatte ich das. Denn „729“ hatte auf dem 50cm-langen-Straf-Fahrschein ein falsches Endziel erfasst. Hätte ich das vorgezeigt, wäre mir wohl ein zweites Strafmandat sicher gewesen. Und das an nur einem Tag. Nach einer rund 45 Jahre dauernden ÖPNV-Karriere ohne „erhöhtes Beförderungsentgelt“.


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