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AutorenbildChristine Ubeda Cruz

Das Ding mit dem “Du”

Aktualisiert: 15. Mai

Megaphon aus dem das Wort DU in verschiedenen Größen erscheint

Das Duzen scheint allgegenwärtig und populär zu sein. Und das Siezen ist offenbar out. In den sozialen Medien, in der Werbung, im Büro, im Handel. Die Anrede „Du“ suggeriert Nähe und gesellschaftliche Gleichheit. Cool, jung und unkompliziert. Nur: warum duzen mich große Unternehmen? Tun auf persönlich und vertraulich, obwohl sie mich doch in Wirklichkeit gar nicht kennen. Ich sie und ihre "Ankumpelung" aber mittlerweile um so besser.


Es gibt die weit verbreitete Theorie, das sogenannte „Kleine-Welt-Phänomen“, das besagt, das jeder mit jedem anderen Mensch auf der Welt über höchstens sieben Ecken irgendwie in Verbindung steht. Wenn ich dem folge, müsstest Du und ich und viele andere, zum Beispiel, mit dem Marketingchef eines Internet- und Glasfaseranbieters eine Verbindung haben. Also eine echt kurze Kommunikationskette! Ist das so? Und erlaubt die das Du?


Wenn ich mir so meinen Alltag anschaue, und hier vor allem die Kommunikation, bin ich geneigt, dieser Theorie vom „globalen Dorf“ zuzustimmen. Denn ganz offensichtlich kennen mich viele Menschen. Weit mehr, als ich je dachte. Wie ich das meine? Na dann, schau mal.


Ich sitze im Café, vertieft in die Frühstückskarte. Da schwebt eine nette Mitarbeitende heran und fragt: „Hast Du Dir schon etwas ausgesucht?“ Irritiert schüttle ich den Kopf und denke: Kenne ich die Frau? Schnell bestelle ich zwei Eier im Glas und einen Cappuccino. Dann widme ich mich meinen E-Mails und lese: "Persönlicher Service? Aber sicher, Christine. Die Sicherheit Deiner Daten ist uns wichtig..." Dafür benötige ich nun einen persönlichen Pin. Aber an den komme ich nur, wenn ich mich selbst mit meiner Kundennummer auf dem Onlineportal anmelde. Hä, äh, hab ich da etwas missverstanden? Wo ist da der persönliche Service? Ich muss doch alles selbst tun.


Zum Glück ist das in meinem Lieblings-Café anders. Dort gibt es ihn noch. Den persönlichen Service. Der mir „Abrakadabra“ einen wunderbaren Cappuccino mit einem zauberhaften Lächeln auf den Tisch zaubert. Verbunden mit den versöhnlich klingenden Worten: „Dein Frühstück kommt auch gleich!“


Ich genieße den ersten Schluck des fein aromatischen Cafés und lese weiter in meinen E-Mails. Schon wieder ein herzliches "Du hast schon den besten Tarif. Gratuliere!" Warum duzen die mich? Damit ich denke, alles ist fein. Und glaube, dass ich wirklich den besten Tarif habe? Dass dem nicht so ist, kann ich mit einigen Klicks, dem Pin und meinem persönlichen Einsatz rasch feststellen. Toller Service. Ich pfeife auf Dein freundliches Getue. Und: Kein Dank für GAR NICHTS!


Da schwebt auch schon wieder die nette Café-Fee mit meiner Bestellung an den Tisch und wünscht guten Appetit. Resigniert klappe ich den Rechner zu. Und widme mich erst einmal den Eiern und dem knusprigen Butterbrötchen. Beim Schmecken und Genießen kann ich wunderbar nachdenken. Und komme zu dem Schluss: Irgendwie scheine ich neuerdings mit „der halben Welt“ auf freundschaftlichem Fuß zu stehen. Aber: Ist dem so? Bin ich mit meinem Glasfaseranbieter befreundet? Wohl eher nicht. Aber warum dann das vertrauliche Du? Ist das die geeignete Masche, um mir mit versöhnlicher Anrede Preiserhöhungen und Self-Service unterzujubeln? Quasi wie in manchen Beziehungen: „Ach, der Kuchen ist Dir so super gut gelungen. Mega lecker. Es macht Dir doch nichts aus, kommendes Wochenende einen für Tante Lydias Geburtstag zu backen? Oder? Nice!“ garniert mit einem Beifall heischenden Augenaufschlag. Die so gelobte Person freut sich über das Kompliment, nickt dankbar und hat damit den Job übernommen. Erfolgreich delegiert, oder besser: abgedrückt. Check, 100 Punkte! Dieses Gefühl beschleicht mich auch, wenn ich mir die Duzerei in der digitalen Welt anschaue. Über steigende Preise kann man sich aufregen. Oder man kann es auch lassen. Aber als Verbraucherin für blöd verkauft zu werden, nervt. Und alles selbst machen zu müssen, auch.


Plötzlich steht die nette Café-Frau an meinen Tisch und flötet: „Hat es Dir geschmeckt?“ Erschrocken tauche ich aus meinem Gedanken-Karussell wieder auf und nicke. „Magst Du noch etwas haben?“ „Ja, sage ich, bitte bringe mir doch noch ein Glas Orangensaft.“ „Gerne“, sagt sie und schwebt davon.


Versteht mich bitte nicht falsch. Ich mag es gerne unkompliziert und frisch. Und ja, Zeiten ändern sich. Sprache ändert sich. Und der Umgang ändert sich. Es stört mich überhaupt nicht, dass die nette Bedienung im Café mich duzt. Oder mein Friseur. Und der Typ im Zeitungskiosk. In all diesen Fällen können wir uns in die Augen sehen und innerhalb einer Milli-Sekunde entscheiden, ob diese Form der Ansprache passt. Und – wir könnten uns auch dagegen verwehren. Ob das auch bei meinem Glasfaseranbieter funktionieren würde? Ob die dann auch wieder ihre Arbeit machen, statt sie mir aufzudrücken? Ich habe da so meine Zweifel. Ein Versuch wäre es wert – oder?

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