Will dir den Frühling zeigen*
- Christine Ubeda Cruz
- 15. März
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 21. März

Es soll tatsächlich Menschen geben, die den Frühling boykottieren. Kaum zu glauben, scheint aber so zu sein. Und ich frage mich: Wo steckt die Energie für mehr Euphorie?
Frühlingsgefühle sind scheinbar auch nicht mehr das, was sie mal waren. Nix mit kollektiver Freude über die ersten milden Temperaturen, darüber, dass es früher hell und später dunkel wird. Stattdessen: "Ich bin so müde. Ich kann bei dem lauten Gezwitscher frühmorgens gar nicht mehr schlafen!", beschwert sich eine Freundin gerade ernsthaft. Und ich? Ich denke – ja, da kann ich grad nicht aus meiner Haut raus – bei der piept’s wohl! Oder etwa bei mir?
Denn ich jubiliere über jeden Sonnenstrahl, jedes Blümchen und über die neue Leichtigkeit des Seins. Ich muss jetzt raus. Unbedingt. Wer will mit? Doch statt begeisterter Freude erhalte ich nur Absagen. "Ich bleib’ drin, zu viele Pollen. Das sind sicher die Birken, die Weiden oder die Erlen …" Ok, das kann ich gut verstehen. Pollen nerven gewaltig. Sie trüben die Freude auf das Frühjahr massiv. Endlich kapiere ich, warum es heißt: Im Frühjahr schlagen die Bäume aus und vielen Menschen auf die Schleimhäute. Übrigens auch mir. Aber: es gibt Nasenspray.
Wer nicht Allergiker ist, dem ist es zu kalt, zu windig, zu nass. Im schlimmsten Fall sogar alles gleichzeitig. In der Mittagspause mal kurz, gut ausstaffiert mit Schal und Mantel, in die Sonne setzen? "Bist du verrückt? Da bekomme ich ja schon bei dem Gedanken eine Blasen-Entzündung!" Die Fenster in Wohnung oder Büro aufreißen und vielleicht mal ’nen Moment länger stoßlüften? "Mach zu, das zieht!"
Und dann, dann kommt der K.O.-Spruch schlechthin: "Es ist ja noch gar nicht richtig warm!" Als wäre das Frühjahr wie die so oft gescholtene, so typisch deutsche, Übergangsjacke. Nichts Halbes und nichts Ganzes und nie so wirklich passend. Und ich frage mich: "Worauf wollt ihr denn noch warten?"
An einem weniger euphorisierenden Frühlingstag – also kalt, windig, nass – dämmert es mir: Ich fürchte, meine, lieber zu Hause bleibenden, Freund:innen haben gerade (noch) keine Energie für die jahreszeitlich typische Begeisterung. Es fehlen noch ein paar entscheidende Grad Celsius, um der langsam erwachenden Freude am Leben zu trauen. Aber dann, dann gehts so richtig los. Mit Heuschnupfen, Blasen-Entzündung und erstem Sonnenbrand.
Wenn ihr aber vorher schon mal am Frühling schnuppern wollt, sagt einfach Bescheid. Ihr findet mich, natürlich, draußen an der frischen Luft. Denn ich brauch’ das jetzt. Und das erste Eis auf die Hand. Schmeckt auch bei "nur" acht Grad. Schmilzt dafür nicht so schnell.
*Will dir den Frühling zeigen,
der hundert Wunder hat.
Der Frühling ist waldeigen
und kommt nicht in die Stadt.
Nur die weit aus den kalten
Gassen zu zweien gehn
und sich bei den Händen halten
– dürfen ihn einmal sehn.
Rainer Maria Rilke
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