
Da steht sie. Glücklich strahlend und mit Tränen in den Augen. Dreht sich verliebt und träumerisch vor dem Spiegel. Der lange, zarte Rock umschmeichelt ihre Beine. Die lange Schleppe liegt wie frisch gefallener Schnee auf dem Boden. Zart zeichnet feine Spitze die Linie ihrer schmalen Schulter. Betont den eleganten Hals. Sie hat es gefunden. Ihr Kleid für den Tag der Tage. Ihr Brautkleid.
Ich geb’s zu: Ich bin ein Dino! Manchmal schaue ich lineares Fernsehen. Und das auch noch am frühen Nachmittag. Entspannt fläze ich auf’m Sofa. In der einen Hand einen köstlichen Cappuccino, in der anderen die Fernbedienung. Und auf der Mattscheibe eine ziemlich sinnbefreite Sendung, in der eine zukünftige Braut sich ihrem Traum von einem Hochzeitskleid hingibt. Und das vor laufender Kamera.
Viele Frauen träumen schon als kleines Mädchen von ihrer Märchenhochzeit. Der Bräutigam soll ein Prinz sein – mindestens! Die Feier ein rauschendes Fest. Natürlich am liebsten in einem Schloss. Und das Kleid – ja das Kleid! - das muss die ganz große Robe sein. Mehrere Lagen Tüll, Seide, Organza, Glitzer, Spitze und ein ganz außergewöhnliches Design sind die Mindestanforderungen. Wenigstens einmal im Leben Prinzessin sein. Einmal im Fokus aller stehen. Dafür scheint kein Aufwand zu groß, kein Budget zu hoch.
All das wollte ich nie! Vor vielen Jahren habe ich meinen "Prinz" gefunden. Und wir haben geheiratet. Wir hatten ein rauschendes Fest – sommerlich unkompliziert am heißesten Tag des Jahres. Und mein Kleid? War nicht Weiß. Und weit entfernt von einer Robe. Es war eines, das zu mir passt und mich so sein lässt, wie ich bin. Trotzdem standen wir an diesem Tag gemeinsam im Mittelpunkt.
Und jetzt? Jetzt sitze ich vor der Glotze und schaue zu, wie Frauen unterschiedlichsten Alters und Figur ihren Traum vom perfekten Hochzeitskleid frönen. Und frage mich: Was bewegt eine Frau, vor laufender Kamera und einem Millionen großen Publikum (keine Ahnung, wie viele Menschen die Sendung schauen. Es muss sich aber lohnen, sonst würde der Sender nicht weiter, seit 2016, neue Folgen drehen und aussenden) Hochzeitsroben anzuprobieren? Sich mit A-Linien, Prinzessinnenroben oder Fit&Flare zu (ver?)kleiden? Wenn der Stoff nicht reicht, wird von den Ausstatter:Innen mit einer Schnürung, Tüll oder Spitzentüchern geschickt die fehlenden Zentimeter kaschiert. Und, wenn zu viel Kleid da ist, wird es mit dicken Klammern oder zarten Stecknadeln kunstvoll zusammengehalten. Die Brautausstatter:innen klemmen der zukünftigen Braut noch rasch einen Schleier ins Haar und hoffen so, den so ganz wichtigen "Brautmoment", hinter vorgehaltener Hand auch Kaufentscheidung genannt, zu erlangen. Das ist die Sekunde, in der die Braut wahlweise sprachlos, verschüchtert und am allerliebsten Tränen der Ergriffenheit zeigt. Dann werden rasch Papiertücher gereicht und die alles entscheidende Frage gestellt: "Ist das DEIN Brautkleid?".
Keine der im TV gezeigten Bräute sind von royaler Abstammung. Und auch nicht Aschenputtel. Nur wenige heiraten kirchlich. Meist geht es nach dem Standesamt zur freien Trauung, gerne auf einer Wiese. Heute sah ich eine Folge, wo das Brautpaar auf ihren Pferden JA sagen möchte. Dieser Wunsch bringt ganz neue Anforderungen an das weiße Kleid. Und natürlich wird die Braut „nicht“ im Damensitz zur Trauung reiten …
Erfüllt "Heiraten in Weiß" den Kindheitstraum Teil eines Märchens zu sein?
Woher kommt dieser große Wunsch, in unserer so klaren, durchstrukturierten und schnellen Welt für den Tag der Hochzeit, wahlweise als Prinzessin, Mermaid oder Fee vor den Partner, die Partnerin zu treten, und sich zu seiner Liebe zu bekennen? Woher stammt der Gedanke, als Märchenwesen den Bund der Ehe einzugehen? Die dann doch eher in unserer so klaren, durchstrukturierten, schnellen und harten Welt stattfindet? Und – warum in Weiß? Weil es Reinheit und Unschuld repräsentieren soll? Oder haben wir den Traum vom weißen Hochzeitskleid einigen royalen Trendsetterinnen zu verdanken?
Ich bin immer wieder erstaunt. Über die so ganz "normalen" Frauen, auf der Suche nach dem Märchenkleid. Und über mich und meine Faszination an dieser sogenannten Realityshow. Warum kommt diese "Heile-Welt-Sendung" so gut bei mir, und vielen Anderen auch, an?
Liegt es an dem Gefühl, dass unsere Welt unübersichtlich, brutal, oftmals unschön ist und viele Krisen herrschen? Nutze ich diese "eine Stunde heile Welt schauen" zur Kompensation? Und tauche für kurze Zeit in eine harmonische, vermeintlich problemfreie Welt mit großem Hoffnungs-Potential ein? Oder sehnt sich mein Inneres nach dem (vermeintlich) tollen Leben anderer Personen? Und vielleicht dem nie gehegten Wunsch, ganz groß und in Weiß zu heiraten?
Also letzteres kann ich ganz klar verneinen. Ich wollte und ich will nicht Prinzessin sein. Ich finde mich so, wie ich bin und lebe, extrem in Ordnung. Und trotzdem freue ich mich, wenn ich dann mal wieder diese eine Stunde in das weiße Brautkleid-Universum einsteige und lauthals meine Kommentare zu den Entscheidungen der Fernsehbräute gebe.
Kürzlich habe ich mich meiner besten und ältesten Freundin anvertraut. Dass ich so gerne diese Sendung sehe. Erst hat sie mich sehr irritiert angeschaut. Dann laut gelacht, mich liebevoll in Arm genommen und gestanden, dass sie diese Produktion ebenfalls sehr gerne sieht. Jetzt haben wir gemeinsam einen Plan: Einen Termin im Brautkleid-Paradies zur eigenen Anprobe zu vereinbaren. Denn: warum nicht auch mit 60plus sich 'mal für ein paar Minuten als Prinzessin fühlen? Kommst Du mit?
P.S.: Gerade merke ich, dass diese Sendung auch ziemlich nutzloses Wissen verbreitet. Mittlerweile kenne ich mich in A-Linen, Fit&Flare, Tüll, Spitze, Cut outs, Glitzer, Chiffon und Seide ziemlich gut aus. Das ist ja auch was wert!
Ach ja, diese Sendung! Ich mag sie auch sehr, obwohl ich selbst wie du diesen Wunsch nach einem eigenen Brautkleid nie gespürt hab. Meine Trauung fand im schicken, dunkelblauen Hosenanzug statt. Aber weisst du was? Nächsten Samstag darf ich als potentielle Brautmutter hemmungslos Freudentränen vergießen! Kleideranprobe der Tochter. Was freu ich mich darauf!! 😍
Sabine aus dem Mausloch